LEHRE VOM GRALSWEG – aus dem Kapitel „Wege und Irrwege der Aufrichtung“ – Teil 1
Betrachtet man die Kupferstiche/Holzschnitte alter Meister (siehe beispielsweise Pluvinel oder Riedinger), so findet man dort die Pferde hoch „aufgerichtet“. Dabei ist häufig erkennbar, dass meist nicht das Genick[1] der höchste Punkt war, sondern oft eine Stelle in Höhe zwischen dem 2. und 3. Halswirbel. Dieser Knick führt physikalisch-mechanisch zu einer Vorhandneigung, welche durch eine übermäßige Beugung der Hinterhand optisch kompensiert wurde, was natürlich eine sehr starke Kräftigung der Hinterhand bei den Pferden voraussetzte.
Diese Optik hatte zwei maßgebliche Gründe in der Vorgehensweise:
Zum einen, die fast grundsätzliche Nutzung der Kandare auch bereits in einem frühen Stadium der Ausbildung, wobei Anfangs die Kandare zusammen mit dem Cavesson[2] eingesetzt wurde. Durch den Kandaren-Einsatz nötige man die Pferde mehr oder weniger stark an oder sogar hinter die Senkrechte zu kommen, was u.a. auch diesen Knick zwischen dem 2 und 3 Halswirbel bewirkte.
Der zweite Grund liegt in der damaligen Form der Bearbeitung der Pferde. Durch Bodenpersonal-Unterstützung, welche mit Peitschen und Rute auf die Hinterhand der Pferde einwirkten, zwang man diese zu einer vermehrten, bis extremen Beugung der Hinterhand. Dies geschah auf kleinem Raum an einer Säule, um eine Säule herum oder zwischen zwei Pilaren. Diese Pferde wurden also von HINTEN nach VORN gearbeitet und nicht so, wie aufrichtungstechnisch korrekt und effizient nach meiner LEHRE VOM GRALSWEG zunächst von VORNE nach HINTEN.
Diese starke Senkung der Hinterhand, bei der die HANKEN[3] entweder extrem durchgebeugt wurden oder auch mitunter – was auf Bildern erkennbar ist – im Hüftgelenkswinkel geöffnet blieben[4] – die Hauptbeugung erfolgte dann auf dem schwächeren unteren Gelenken (Sprung- und Fesselgelenk), zwang man das Pferd, sich in einer Gegenbewegung vermehrt nach vorne zu strecken und Vorwärts-Aufwärts zu dehnen, um den Balanceverlust der durch die Beugung nach hinten erfolgte, auszugleichen. Diese Vorwärts-Aufwärts-Streckung begünstigte nach und nach die eigentliche und dann formtechnisch nahezu[5] korrekte Aufrichtung. Ein Abknicken im Übergang zwischen Hals- und Brustwirbelsäule entstand dadurch nicht. Hals und Rückenlinie wurden in einem Zug angehoben.
Nachteil solchermaßen gearbeiteter Pferde war das stark reduzierte Vorwärts in den Grundgangarten. Diese in der Hinterhand sehr kräftigen Pferde waren, durch die Art und Reihenfolge der Ausbildung, in der Regel nur noch in der Lage, die Schulformen der jeweiligen Grundgangarten gehen zu können. Dafür aber waren diese Pferde, bedingt durch die, in extreme Beugung erarbeitete Kraft in der Hinterhand, in der Lage große 2-Schlag-Galopp-Sprünge (z.B. Mezair, Carriere …), sowie Schulsprünge auszuführen.
Für die Kavallerie in der Zeiten eines Pluvinels, in der noch Ritter in voller Rüstung und mit Lanze in den Kampf zogen und für den „rechtsprechenden“ Lanzenkampf[6], machte eine solche Ausbildung noch Sinn, da die Pferde dabei eine große Last zu tragen hatten und der 2-Schlag-Galopp in Form der Carriere beim unmittelbaren Angriff zum Einsatz kam, was eine sprunggewaltige Hinterhand nötig machte. Dieser Sinn aber verlor sich in der modernen Kavallerie zu Zeiten Friedrichs des Großen und seines genialen Kavallerie-Generals von Seydlitz-Kurzbach.
Diese starke Hinterhand orientierte Formung der Pferde zog sich in die Reitbahnen der Akademischen Reitkunst zurück. Die Wege der akademische Reiterei und der (neuen, flexibleren und leichteren) Militärreiterei trennten sich.
Autor: Richard Vizethum | Der letzte Stallmeister | Schule der Hippologie
Der Text auch als Podcast …
[1] Das Genick, das auch als obere Halswirbelsäule bezeichnet wird, besteht aus dem Hinterhauptbein, dem ersten Halswirbel (Atlas) und dem zweiten Halswirbel (Axis).
[2] Cavesson (auch Cavecon, Caveson) ist ein leichter Kappzaum.
[3] Die HANKEN nach der LEHRE VOM GRALSWEG sind definiert durch den Hüftgelenkswinkel, welcher aus dem Dreieck: Kreuzbein – Hüftgelenk – Knie besteht. Das Sprunggelenk, was häufig dazugezählt wird, weil dieses eine starke Bandverbindung mit dem Kniegelenk besitzt, ist nach der LEHRE VOM GRALSWEG nicht Bestandteil der Hanken und führt bei Berücksichtigung zu fehlerhaften Methoden und Bewertungen.
[4] Was damit keine Hankenbeugung nach Definition der LEHRE VOM GRALSWEG darstellt
[5] Ausnahme ist der „falsche Knick“ auf der Höhe zwischen den 2. und 3. Halswirbel.
[6] Der Lanzenkampf wurde als TJOST bezeichnet. Dabei handelte es sich um eine Kampfform zwischen zwei Rittern in voller Rüstung. Das Wort Tjost hat seinen Ursprung im lateinischen „justa“, was so viel wie rechtmäßiger Kampf bedeutet. Im frühen Mittelalter wurden strittige Gerichtsfälle nicht selten in einem Zweikampf entschieden. Der Ritter forderte seinen Gegner über einen Mittelsmann zum tjostieren auf: Er beauftrage entweder einen Turnierherold, oder er schickte seinen Knappen.
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