Eine Wendung offenbart es

In der Herresdruckvorschrift 12 (HDv.12.) von 1937 finden sich auf Seite 30 zwei sehr aufschlussreiche Bilder, welche weniger Aussage über den reiterlichen SITZ, dafür aber umso mehr über die Anforderungen und die Qualität der Kavallerie zu Zeiten der Wehrmacht[1] aussagen.

Bei beiden Bildern geht es um den Sitz beim Durchreiten einer WENDUNG. Das linke Bild zeigt einen Reiter mit eingeknickter Hüfte, dessen Sitz man damit zu Recht als fehlerhaft bezeichnen muss.

Beim rechten Bild nun sitzt der Reiter in einer Linie mit dem Pferd. Laut HDv. 12 von 1937 wird von einen „richtigen Sitz“ gesprochen. Beschränkt man seine Beurteilung auf die Unterschiedlichkeiten zwischen diesen beiden Bildern und bezogen auf den Sitz, so muss man geneigt sein, der Bewertung gemäß Dienstvorschrift zu folgen.

Löst man sich vom aber SITZ des Reiters und bewertet die AKTION, sprich das Durchreiten einer WENDUNG, dann muss man beiden Bildern attestieren, das beide FALSCH sind! Und damit sind wir bei den Anforderungen und der Ausbildungs-Qualität der Kavallerie zur damaligen Zeit.

Die Wehrmachtsreiter waren keine KAVALLERISTEN und ihre Pferde keine ausgebildeten KAVALLERIE-PFERDE mehr!

Im Feldzug von 1870/71 gegen Frankreich, fand am 16. August 1870 die Schlacht von Vionville – Mars la Tour[2] statt. Deren Bedeutung liegt unter anderem darin, dass es die letzte große Schlacht war, in der die Kavallerie neben der Artillerie und der Infanterie gleichberechtigten Anteil am Ausgang der Schlacht hatte. Danach begann der Abstieg hin zur militärischen Bedeutungslosigkeit, trotz mancher Bemühungen diesen zu verhindern.

Spätestens nach dem 1. Weltkrieg, in dem ca. 8 Millionen Pferde (!), Reit- und Zugpferde, ums Leben gekommen waren und der, flapsig ausgedrückt, „mit Pferden begann und mit Panzern endete“, sollte auch dem letzten Kavallerieromantiker klar geworden sein, dass eine moderne Armee keinen Bedarf für eine Kavallerie mehr hat.

Das Einzige, was für diese einst stolze Kavallerie an Einsatz-Szenarien noch Sinnhaftes[3] blieb, waren Aufklärungs- und Sabotageritte, welche bereits 1870/71 schon verstärkter durchgeführt wurden.

Gleichzeitig mit dem Abstieg der Kavallerie in die militärische Bedeutungslosigkeit kam es zu einer Renaissance einer Reiterei, welche bereits bei den Reitervölkern und zwar ausschließlich praktiziert wurde: Der NATÜRLICHEN METHODE! 

Diese Wortschöpfung als Bezeichnung für eine Ausbildungsart, die von Italien[4] ihren Ausgang nahm, ist sehr treffend. Man kann sich eigentlich gar nicht vorstellen, daß es unter Leuten vom Fach über die Auslegung Meinungsverschiedenheiten geben kann. Caprilli und seine Schüler haben seine Gedanken und Grundsätze im Springsport und im Gelände angewandt und ein Ausbildungssystem geschaffen, welche die italienischen Reiter jener Zeit in schnellem Aufstieg an die Spitze des Sports führte. Alle Welt horchte auf und ahmte nach.[5]

Das Credo dieser, nahezu auf Gymnastizierung und Durchbildung der Pferde verzichtende Ausbildungsform, lautete: „Das Gelände wird es schon richten!“.

Auch die deutsche Wehrmachtsreiterei schloß sich dieser pferdeverschleißenden Mode an, gleichwohl sie gegenüber den anderen nachahmenden Nationen, zumindest noch ein bisschen Gymnastizierung und dressurmäßige Arbeit einbaute, wobei der Freiherr von Waldenfels[6] sich wohl ausgezeichnet hat (lt. Udo Bürger).

Den geneigten Leser mag spätestens jetzt ein Licht aufgegangen sein, wohin die Reise der „Kavallerie“ ging: zur SPORTREITEREI!

Und diese Aussage bringt mich nun wieder zurück zu diesen beiden Bildern

Pferde, welche so durch eine Wendung gehen, liegen mit einem hohen Gewichtsanteil auf ihrer inneren Schulter, was nicht nur zu einer erheblichen, gesundheitsunverträglichen Ungleichbelastung der Struktur, sondern auch zu einer starken Reduzierung der Beweglichkeit führt.

Wäre ein solches Pferd, wie dies zu früheren Zeiten bei der Kavallerie gang und gäbe war, im Einzelkampf aktiv und würde so in die Wendung fallen, bedürfte es für einen Richtungswechsel mehrerer Zwischenschritte und einen erheblichen Energieverbrauch, unabhängig von der Gefährdung der sich Ross und Reiter durch den Gegner aussetzen würden!

Die beiden Bilder nun zeigen ein rein (ungesund) sportlich gerittenes Pferd, bei dem der GALOPP und die Geschwindigkeit im Vordergrund stehen, und dies ohne Rücksicht auf Verluste! Der Verschleiß, den eine solche Reiterei den Pferden bescherte kann man an den hohen Ausfallzahlen der damaligen Zeit ablesen.

Auch bei einem sportlich gerittenen Pferd sollten stets beide Schultern erhoben sein und das Pferd wie eine alte Straßenbahn und nicht wie ein Zug mit Neigetechnik oder ein Motorrad durch die Wendung gehen. Die erhobenen Schultern halten nicht nur das Pferd langfristig gesund, sondern es kann in seinen Aktionen auch bedeutend beweglicher und schneller agieren!

Die angesprochene Wehrmachtsreiterei steht bedauerlicherweise als VORBILD für die moderne Reiterei und leistete auch maßgebliche Beiträge zur SKALA DER AUSBILDUNG. Einer „Lehre“ deren angesprochene Grundlage von Seiten ihren Verfechter – in maßloser Überschätzung – als KLASSISCH bezeichnet und deren UNUMSTÖSSLICHKEIT (d.h. Zeitlosigkeit) attestiert wird.

Als VORBILD aber sollte man sich immer das BESTE und nicht das Mittelmäßige oder gar Schlechte erwählen.

Die Wehrmachts-Reiterei war keine KAVALLERIE mehr. Sie kann so wenig als Vorbild für die beste Militärreiterei, wie für eine GESUNDE SPORTREITEREI (die wir auch deshalb heute nicht haben) genutzt werden!


Autor: Richard Vizethum | Der letzte Stallmeister | Schule der Hippologie


[1] Mit dem Gesetz zur Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht vom 16. März 1935 wurde die Reichswehr in Wehrmacht unbenannt.

[2] Die Schlacht bei Mars-la-Tour (in den Quellen auch Schlacht bei Vionville oder Schlacht bei Rezonville) wurde am 16. August 1870 während des Deutsch-Französischen Krieges in der Nähe der Ortschaften Mars-la-Tour und Vionville im Nordosten Frankreichs, etwa 20 Kilometer westlich von Metz geschlagen. (Wikipedia)

[3] Versuche, wie es die Polen zu Beginn des 2. Weltkriegs taten, wo sie mit Pferden, in Formationen irregulärer Kavallerie, gegen deutsche Panzer ritten, darf man als Ausdruck sturer Kavallerieromantiker bezeichnen, die aus dem 1. Weltkrieg keine Lehren gezogen haben und deren UNSINNIGEN Befehle Pferden und Reitern das Leben kostete.

[4] Über die italienische Reiterei, welche nach der Neapolitanischen Schule vermehrt der Bedeutungslosigkeit anheimfiel möchte ich sonst weiter keine Worte verlieren, denn diese wären alles andere als freundlich.

[5] Dr. Udo Bürger | „Vollendete Reitkunst“ | Verlag Paul Parey | 5.Auflage 1982 (Erstauflage1959) | Seite 80

[6] Rudolf Otto Hans Freiherr von Waldenfels (* 23. September 1895 in Ingolstadt; † 14. August 1969 in Rottach-Egern) war ein deutscher Springreiter sowie Offizier, zuletzt Generalleutnant im Zweiten Weltkrieg. (https://de.wikipedia.org/wiki/Rudolf_von_Waldenfels_(General)


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Aufrichtung – Die Schnelldresseure

LEHRE VOM GRALSWEG – Aus dem Kapitel: „Wege und Irrwege der Aufrichtung – Teil 3“

In allen Zeiten gab es Reiter, welche die Pferde in die Formen der HOHEN SCHULE (hohe Aufrichtung – tiefe Beugung) bringen wollten, allerdings nicht bereit waren, sich mit dem langwierigen Aufbauprozess von Schulpferden auseinanderzusetzen. Sie glaubten in kurzer Zeit die notwenige Form der Pferde herzustellen, wozu man in der akademischen Reiterei Jahre brauchte.

Nach Prinzipien älterer Zeit glaubte man die Gleichgewichtstellung dadurch herbeizuführen, daß man zuvörderst die Nase des Pferdes hoch heraufhob und mit beinahe waagerechter Kopfstellung mit dem Oberhauptbein den Hals hoch herauf- und zurückarbeitete; doch vieljährige Erfahrungen stellten dieses Verfahren nicht allein als weniger zweckmäßig, sondern als nachtheilig heraus, denn, ungeachtet die Nase des Pferdes höher kam, so blieb die Körperlast doch vorhängend, die Hinterfüße traten nicht nach, sie steiften sich, die Vorderbeine wurden struppirt [überlastet – Anm.d.Red.], Hirschhälse sah man hervordrücken ([dort] Taf.IV Fig. 3.), welche wieder Veranlassung zu unsteter Kopfstellung gaben. [1]

Diese von E.F. Seidler beschriebene und zu Recht kritisierte, unnatürliche  Vorgehensweise, deren Anwendung sich nicht nur auf die „ältere Zeit“ beschränkte, wandten die Verfechter dieser „Methode“ bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt der „Ausbildung“ an.

Mit der „Trense bäumt(e)“ man und um die dadurch hervorgerufene nahezu waagerechte Kopfstellung des jungen Pferdes schließlich zu korrigieren, wurde mit der „Kandare (ge)zäumt“. Dieses „Aufrichten“ von Hals und Kopf führte zu einem Abknicken im Übergang zwischen der Hals- und Brustwirbelsäule, verursachte Schmerzen und führt, daraus resultierend zu Abwehrreaktionen beim Pferd. Die Konsequenz dieses Vorgehens waren körperlich und seelisch stark angefasste Pferde, welche sich bei jeder Gelegenheit aus dieser Zwangshaltung, „keinem Zügel mehr gehorchend“,  herausschnellten.

Das Herantreiben der Hinterhand wiederum überlastete die zu Beginn einer Ausbildung noch schwache Struktur der Hinterhand, was ebenfalls zum Widerstand der Pferde beitrug.

Zu diesen Schnelldresseuren gehörte in seiner Entwicklung sehr lange auch der Franzose Francois Baucher[2], den man in seiner Zeit und danach gerne irgendwo zwischen „Genie“ und „Scharlatan“ einordnete. Die preußische Kavallerie stellte 1842 ein komplettes Regiment ab, um nach Bauchers, damals 1. Manier[3] zu arbeiten. Das Ergebnis war mehr als ernüchternd:

Es war nun im Jahre 1842, wo das Schwester-Regiment[4] unserer Brigade den Auftrag erhielt, nach dem damals die Reiterwelt in Unruhe versetzenden neuen ‚System‘ Baucher die Pferde auszubilden, welches 1843 nach dem grossen Kavalleriemanöver unter Wrangel bei Berlin so eklatante Misserfolge zeigte, dass diese unbedingte Beizäumungsmethode[5] für ewige Zeiten untersagt wurde, denn die Pferde schnellten sich aus derselben heraus, keinem Zügel mehr gehorchend.[6]

Diese Erkenntnis führte bei der preußischen Kavallerie zu einer nachhaltigen Ablehnung der Methode Baucher. Dies aber hatte rein pragmatische und keine nationalistischen Gründe, wie häufig behauptet wurde.

Die Baucherschen Pferde sind vom Standpunkte der Kriegsbrauchbarkeit aus betrachtet gänzlich roh, und viel unbrauchbarer als die Pferde der Anglomanen.[7]

Aber nicht nur der Ehrgeiz so manches „Reitmeisters“ führte zu derartigen Aufrichtungsexzessen.

1806 verlor Preußen im „Vierten Koalitionskrieg“ insbesondere in der Doppelschlacht von Jena und Auerstedt gegen Napoleon, was den militärischen und politischen Zusammenbruch Preußens bedeutete und in dessen Folge, die preußische Kavallerie alle ihre gutgerittenen Pferde an die Franzosen verlor.

Mit dem Frieden (1814/15) hatten die Preußen also keine Pferde mehr im Land und sie waren gezwungen ihre Remonten „aus ukrainischen, bessarabischen und moldauischen Steppenwildlingen“[8] zu rekrutieren. Pferde, die „über keine Brücke gingen, und in den Ställen alles zerrissen und zerschlugen“[9] Diese Pferde waren so unberechenbar, dass sie vom Nebenstand aus gefüttert und mit Striegeln an der Stange geputzt werden mussten. Das Reiten auf diesen Tieren war durchaus lebensgefährlich, was ein Satz von Waldemar Seunig drastisch illustriert:

Viele Opfer blieben damals auf den Schlachtfeldern der Reitplätze, nicht nur Wildlinge, die absolut nicht einsehen wollten, wozu sie eigentlich auf der Welt seien, auch Reiter und Wartungspersonal[10]

1825 und 1826 gelangte eine, von Generalmajor Friedrich Georg von Sohr verfasste, 4-teilige REITINSTRUKTION[11], zur Ausgabe an die Truppe. Diese blieb mehr als ein halbes Jahrhundert hindurch die bindende Regel für die gesamte Reitausbildung der preußischen und der deutschen Kavallerie.

In dieser Instruktion  trug von Sohr der „Qualität“ dieser Pferde und der Schwierigkeit im Umgang mit diesen, insofern Rechnung, als er darin die Anleitung zu einem „beschleunigten Verfahren gewaltsamer Bändigung“ gab, zu dem es auch gehörte, den Hals der Pferde hoch und senkrecht zurückzurichten, wobei die Köpfe in einem Winkel von 45 Grad zum Hals stehen sollten.

Was sowohl dieser Reitinstruktion aber insbesondere den „Schnelldresseuren“ damit leider gelang, war die nachhaltige Etablierung des Bildes eines Pferdes, mit senkrecht gestelltem Hals, hohem, fast waagerecht gehaltenem Kopf, herausgedrücktem Unterhals, ausstehenden Hinterbeinen, und den damit entstehenden Eindrucks eines weggedrückten Rückens.

Eines Bildes, welches dem des „Sternenguckers“ entspricht, einer Haltung, die manch unzureichend vorbereitete Pferde aus Angst oder Schwäche  beim ersten Kontakt mit dem Reitergewicht nach einem Anspannen, durch krampfhaftes Abspannen einnehmen.

Dieses Aufrichten, welches in keiner Weise etwas mit Reitkunst gemein hat, und das dadurch entstandene Bild in den Köpfen der Reiter, wird in der Neuzeit oft mit dem Begriff ABSOLUTE AUFRICHTUNG völlig fehletikettiert und als Gegenposition und damit Legitimation für VORWÄRTS-ABWÄRTS in vielen Werken von Ausbildern, Therapeuten und Tierärzten dargestellt und propagiert.

Dieses unschöne Bild, eines durch FALSCHE AUFRICHTUNG traktierten Pferdes, hat leider auch dazu geführt, dass alle Formen korrekten, sukzessiven Aufrichtens (wie beispielsweise durch die genialen preußischen Stallmeistern durchgeführt), weitgehend unbeachtet blieben und dadurch der Vergessenheit anheimgestellt wurden.

Womit ein sehr elementarer Teil der so notwendigen UMFORMUNG des Pferdes kaum mehr (lediglich nach meiner LEHRE VOM GRALSWEG) in seiner ursprünglichen pferdeschonenden und sehr wissenschaftlich-überlegten Form stattfindet. Übergeht man aber diesen wichtigen Umformungsschritt, dann funktionieren die Logiken alter Reitanweisungen nicht mehr und man öffnet weiteren Fehlinterpretationen Tür und Tor.

Die gesamte SKALA DER AUSBILDUNG, deren Basis man in völliger Selbstüberschätzung als „unumstößlich“ und „klassisch“ bezeichnet, ist gespickt von solchen Fehlinterpretationen und den zwangsweise darauf folgenden fehlerhaften Methoden.


Autor: Richard Vizethum | Der letzte Stallmeister | Schule der Hippologie


[1] Ernst Friedrich Seidler | „Die Dressur diffiziler Pferde“ | 2. Nachdruck der Ausgabe Berlin 1846 | Olms-Verlag 1990 | Seite 96

[2] Francois Baucher, mit dem ich mich sehr intensiv beschäftig habe, wird von mir, nach all meinem Wissen über seine Vorgehensweise, als ein Scharlatan eingestuft, wenn auch mit gewissen Talenten. Das was er als neu bezeichnet hat, war meist schon vor seiner Zeit bekannt und jenes, was tatsächlich neu war brauchte keine Pferd (eher Zirkus). Der Hype um Baucher war und ist nur zu verstehen im Kontext einer immer stärker aufkommenden anglomanen Reiterei, die sich mehr und mehr auch in die Militärreiterei (mit d’Aure, einen Konkurrenten und Widersacher von Baucher, in die Cadre Noir) einschlich und in der heutigen Zeit die gesamte Reiterei prägt.

[3] Nach meinem Dafürhalten ist eine Einteilung der Baucherchen Entwicklung in 1. und 2. Manier nicht zulässig, da Baucher über die Auflagen seines Werkes hinweg, sich ständig weiterentwickelte. Die Zäsur, nach dem „Kronleuchter-Unfall“, die als Übergang von einer 1. Manier zu einer 2. Manier von vielen Autoren genannt wird, gab es im Grunde nicht!

[4] Es handelte sich um das 7. Kürassier-Regiment (siehe auch Seunig) in Quedlinburg

[5] Die Begrifflichkeit „unbedingte Beizäumungsmethode“ könnte von Otto von Monteton von Plinzner unbewusst übernommen worden sein, welcher zu dieser Zeit (1899) aktiv war – auch mit Veröffentlichungen.

[6] Otto Digeon von Monteton | „Über stätische Pferde“ |  Verlag von Schickhardt & Ebner (Konrad Wittwer) 1899 | 7. Heft | Teil eines Nachdrucks Olms-Verlag 1992 | Seite 19

[7] Otto Digeon von Monteton | „Über die Reitkunst“ | 1877 | Nachdruck Olms-Verlag 1995 | Kommentar auf Seite 177

[8] Waldemar Seunig | „Von der Koppel bis zur Kapriole“ | 4. Nachdruck der Ausgabe von 1943 | Verlag Olms | Seite 49

[9] von Monteton: Über die Reitkunst (1877)

[10] Waldemar Seunig | „Von der Koppel bis zur Kapriole“ | 4. Nachdruck der Ausgabe von 1943 | Verlag Olms | Seite 49

[11] Friedrich Georg von Sohr | „Instruktion zum Reit-Unterricht für die königlich preußische Kavallerie | 1825/1826

Der letzte Stallmeister

Der letzte Stallmeister

Die genialen preußischen Stallmeister

Die preußischen Stallmeister zu Zeiten Friedrichs des Großen[1] und seines genialen Kavallerie-Generals von Seydlitz-Kurzbach ab Mitte des 18. Jahrhunderts, hoben die Pferdeausbildung auf ein bis dahin noch nicht gekanntes Niveau. Diese Stallmeister, welchen zum Teil im Range von Professoren stehend, als Universitätsstallmeister an Universitäten Hippologie lehrten, zeichneten u.a. bei den preußischen Kavallerieregimentern verantwortlich für die Konzepte der Pferdeausbildung und der Ausbildung der Rittmeister[2]. Sie verdienten oft so viel wie ein Regimentskommandeur, was auch ihren hohen Stellenwert innerhalb der preußischen Reiterei deutlich machte.

Es gehörte früher zur Bildung der Großen, von der Reitkunst sehr eingehende Kenntnis zu haben. Alle Universitäten hatten einen Stallmeister, der Professor-Rang hatte, so wie auch alle Ritter-Akademien. Heut lernt ein jeder selbst reiten, aber es ist auch danach.[3]

Geprägt wurden diese Stallmeister bei ihren Ausbildungs-Konzepten von den Entwicklungen des Maschinenzeitalters, welche mit der industriellen Revolution in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts begann. In diesem Zeitalter veränderte eine Serie von technischen Erfindungen die Arbeitswelt grundlegend.

Die damit einhergehende, neue, mehr technisch orientierte Geisteshaltung, hatte auch Auswirkungen auf die Ausbildung der Pferde. Diese wurden nun mehr als „Maschine“ betrachtet und man versuchte, die einzelnen körperlichen Elemente der Pferde nach physikalischen und logischen Grundsätzen, wissenschaftlich analytisch, optimal aufeinander abzustimmen, um so das Leistungsvermögen und die Gesundheit, der für die Kavallerie so wertvollen Pferde[4], deutlich und nachhaltig zu steigern.

Das Ergebnisse waren nahezu perfekt geformte Pferde, welche schier unglaubliche Höchstleistungen erbringen konnten, ohne dabei in entsprechendem Maße Schaden an Leib und Seele zu nehmen. Nie vorher und nie mehr danach und an keinem anderen Ort der Welt, hatte die Pferdeausbildung, insbesondere die der Kampagnen-Pferde der Kavallerie ein höheres Niveau, als unter der Ägide dieser akribisch arbeitenden preußischer Stallmeister.

Jedoch wurde ihnen die Betrachtung der Pferde als Maschine in der Folgezeit, besonders durch die Vertreter der sich, mehr und mehr, wie eine Seuche, nun auch in den Kavallerien ausbreitende, schlampige und stärker an der Eitelkeitsbefriedigung der Reiter, als an der Gesunderhaltung der Pferde orientierten, anglomanen „Natur-Reiterei“ zum Vorwurf gemacht. Diese anglomane Reiterei setzte mehr auf (diffuses) FÜHLEN, den Galopp und das Gredo „Das Gelände wird es schon richten!“ als auf eine sinnvolle, gesunde und reproduzierbare Ausbildung der Pferde. Dieser Vorwurf, denen man die Stallmeistern machte, war und ist völlig haltlos und diente lediglich dazu, die pferdeunfreundlicheren und gesundheitsschädlicheren Konzepte der bequemen, anglomanen, und neuzeitlicher, der emotionalisierten (anglomanen) Reiterei in ein positives Licht zu rücken.

Auch für die Stallmeister und gerade für diese, waren die Pferde Lebewesen, mit all ihrer Individualität und so wurden sie auch behandelt! Aber um sie körperlich dauerhaft zu gesunden, Höchstleistungen erbringenden Tieren umzubauen, war und ist es zwingend erforderlich die Physik des lebenden Systems Pferd (schlicht gesprochen, die „Maschine Pferd“) wissenschaftlich zu analysieren, zu bewerten und zu formen! Wer aber ausschließlich auf FÜHLEN setzt (dazu muss man allerdings wissen, was man fühlen sollte), der wird die Ausbildung der Pferde immer dem Zufall überlassen und dessen Ergebnisse werden immer mittelmäßig bleiben und nicht auf alle Pferde gleichermaßen anwendbar sein. 

Mit der Doppelschlacht von Jena und Auerstedt am 14. Oktober 1806 und der vernichtenden Niederlage der preußischen Armee durch die Franzosen unter Napoleon[5] in deren Folge die Preußen alle ihre gut ausgebildeten Pferde an die Franzosen verloren, begann auch das Zeitalter der preußischen Stallmeister nach und nach ein Ende zu finden. Im Grunde waren sie dem Staatshaushalt (kurzsichtig denkend) zu teuer geworden. Von nun an begann man die Verantwortung für die Ausbildung der Pferde in die Hände der Schwadronchefs und deren Rittmeister zu legen, was einen, zunächst schleichenden, dann immer stärkeren Qualitätsverlust in der Ausbildung zur Folge hatte und die Tür für die Anglomanie in der Kavallerie immer weiter öffnete[6]. Etwa im Jahre 1848[7] schied nach Berechnungen von Otto Digeon von Monteton wohl der letzte Stallmeister Altersbedingt aus dem Dienst.

In den Folgejahren nahm der Pferdeverschleiß durch unzureichende Ausbildung zu. Zweckbedingt wurde der Galopp zur vermehrten Gangart der Kavallerie und übermäßig trainiert, was zu den hohen Pferdeverlusten beitrug. Die Pferde verschlissen an den Beinen, es kam zu Kieferbrüchen und weiteren körperlichen Schäden. Dieser Umstand veranlasste 1875 den Kavalleriegeneral von Schmidt zur Forderung wieder zu den altpreußischen Dressurmethoden zurückzukehren:

… die Pferde vornehmlich im Winter-Halbjahr, und sodann fortgesetzt während der Sommerübungen, nach den Grundsätzen und Regeln der altpreußischen Dressurmethoden[8] in die ihrem Gebäude angemessene, richtige Haltung, Aufrichtung, Beizäumung und Versammlung gesetzt worden sind, dieselben sich nicht schwer auf die Zügel legen und nicht fest in der Hand ihrer Reiter, sondern in allen Theilen weich und nachgiebig sind, und ihre Hinterhand gebogen[9] und untergeschoben worden ist, damit dieselbe im Stande ist, vermöge ihrer Elastizität und Spannkraft das Gewicht und die Stöße elastisch aufzunehmen, und dadurch die Vorderfüße zu schonen und zu erleichtern. [10]

Leider verstarb dieser sehr einflussreiche General im Jahre 1875, so dass es ihm unmöglich wurde dieser Forderung in der Armee Nachdruck zu verleihen. Sehr zum Leidwesen der Pferde, welche immer mehr der „schneidigen“, sportlichen und weniger kavalleristischen, anglomanen Reiterei geopfert wurden. Diese fand in der Wehrmacht (die heute so hochgelobt wird) ihren traurigen militärisch-reiterlichen Höhepunkt und beeinflusste in der Folgezeit die heutige moderne Reiterei über die Skala der Ausbildung, deren Grundlagen (im Wesentlichen HDV 12 von 1912 und 1937) man, in völliger Selbstüberhöhung und völlig zu Unrecht als „unumstößlich“ und „klassisch“ bezeichnet.

Der letzte Stallmeister

Bevor ich von diesen großartigen preußischen Stallmeistern erfuhr, kam ich unabhängig von diesen –  genauso wissenschaftlich akribisch arbeitend – zu den gleichen Erkenntnissen und Vorgehensweisen bei der Ausbildung der Pferde. Ich formte die Pferde so wie diese Stallmeister es taten und dies sogar noch in der gleichen Reihenfolge der Bearbeitung. Dieser parallele und unabhängige Erkenntnisgewinn machte es mir, im Gegensatz zum Gros der „Reitmeister“ in der Folgezeit der Preußen, möglich, zu verstehen, wie die besten Pferdeausbilder in der Geschichte der Reiterei gearbeitet haben und ich konnte schließlich, als ich von ihnen erfuhr und mich noch tiefer auf ihre Arbeit einließ, weiter von ihnen lernen.

In deren Sinne weiterarbeitend darf ich mich wohl zu Recht, aber in aller Demut vor der Größe dieser Kunst und meiner preußischen Vordenker, auf deren Schultern ich stehen darf, als den wohl letzten Stallmeister und einen der wenigen „denkenden Reiter“[11] in der Geschichte der Reiterei bezeichnen. Dieses Privileg ist für mich verbunden mit der Verpflichtung, für die Pferde, jene wundervollen, treuen und tapferen Lebewesen einzutreten und deren Anwalt zu sein – auch gegen jede Befindlichkeit der Menschen!

In meiner LEHRE VOM GRALSWEG (Reitlehre) dokumentiere ich all die über viele Jahre, mit vielen (diffizilen) Pferden der verschiedensten Rassen – vom Zwerg-Pony bis zum Shire-Horse – gewonnene Erfahrung und die daraus wissenschaftlich erarbeiteten, umfangreichen Erkenntnisse. Dies tue ich, verbunden mit der Hoffnung, dass Menschen, die an der Gesundheit und dem Wohlbefinden der Pferde interessiert sind, sich auf den GRALSWEG machen und in meinem Sinne und dem meiner genialen Vordenker – all jenen großartigen preußischen Stallmeistern – weiterarbeiten.

Vielleicht gibt es sie dann irgendwann wieder in größerer Zahl: die STALLMEISTER!


Autor: Richard Vizethum | Der letzte Stallmeister | Schule der Hippologie



[1] Friedrich II. oder Friedrich der Große, volkstümlich der „Alte Fritz“ genannt, war ab 1740 König in, ab 1772 König von Preußen. Er entstammte der Dynastie der Hohenzollern.

[2] Die Rittmeister wiederum waren dafür verantwortlich, die Ausbildungskonzepte der Stallmeister über die Ausbildung der Offiziere und Unteroffiziere in die Truppe zu tragen.

[3] Otto Digeon von Monteton | „Über die Reitkunst“ | 1877 | Nachdruck Olms-Verlag 1995 | Kommentar auf Seite 137

[4] Tierschutz ging in der preußischen Kavallerie vor Menschenschutz!

[5] Napoleon Bonaparte (1769 – 1821), als Kaiser Napoleon I, war ein französischer General. Aus korsischer Familie stammend, stieg Bonaparte während der Französischen Revolution in der Armee auf. Von 1804 bis 1814 und nochmal 1815 Kaiser der Franzosen.

[6] Die Kavallerieschule in Hannover war nie ein Hort guter Pferdeausbildung, sondern von Anbeginn (1866 – als Militärreitinstitut Hannover gegründet und 1920 in die Kavallerieschule Hannover umbenannt) der anglomanen, sportlichen schneidigen Reiterei (Jagdreiten, Geländereiten, Springen, Rennreiten …) zugetan.

[7] In diesem Jahr ging, laut Otto Digeon von Monteton, der wohl letzte Stallmeister in Ruhestand und in der preußischen Kavallerie wurde die Ausbildung direkt von den Rittmeistern (ohne vorherige Anleitung durch die Stallmeister) durchgeführt, was zu einem Qualitätsverlust in der Ausbildung führte.

[8] General von Schmidt spricht sich hier für die altpreußischen Dressurmethoden von vor 1806 und im Grunde noch etwa bis 1848 aus.

[9] Der Begriff „Biegen“ bedeutet: das Biegen in den Gelenken, Genick, Rücken und Hinterhand und geringgradig das seitliche Biegen, welches man neuzeitlich diese Begriff zuschreibt und damit den ursprünglichen Begriffsinhalt konterkariert.

[10] Kaehler | „Die preußische Reiterei von 1806 bis 1876 in ihrer inneren Entwicklung“ | 1879 | Verlag Ernst Siegfried Mittler und Sohn | Nachdruck Europäischer Geschichtsverlag 2015 | Seite 330f

[11] Dieser Ausdruck wurde von Max Ritter von Weyrother geprägt. „Denkende Reiter“ nach seiner Definition gab es in der Geschichte der Reiterei nur sehr wenige (welche uns durch ihre Werke bekannt wurden), gleichwohl sich so mancher gerne als solchen sehen möchte.

Die Pferdetexte des Kikkuli

Ausbildungsanleitungen für Pferde entstanden bereits im 2. Jahrtausend v.Chr. infolge der hohen Nachfrage nach vielseitig ausgebildeten und trainierten Pferden. Die hethitischen hippologischen Schrift des Mitanni[1]-Hurriters Kikkuli aus dem 15. Jahrhundert v. Chr. berichten über eine 184-tägige Ausbildung junger Pferde für den Dienst am Streitwagen; darin sind neben Futterzeiten und Pflegeanleitungen für jeden Tag genaue Lauf- und Trainingsübungen mit Gangarten und Streckenmaß verzeichnet.

Kikkuli selbst bezeichnete sich als aššuššanni (a-aš-šu-uš-ša-an-ni) „Pferdetrainer“.

Richard Vizethum | Stallmeister | Schule der Hippologie


[1] Mitanni (Mitaniland, Chanigalbat) Reich der Hurriter im nördlichen Mesopotamien. Mitanni lag östlich vom Reich der Chatti (Hethiter), gegen deren Machtstreben es sich wehren musste.