Die Bergziege

Aus der Rubrik: IRRUNGEN IN DER MODERNEN PFERDEARBEIT

Das Pferd wurde nach einem Foto gezeichnet

Es war im Grunde der RÜCKENWAHN, der diese „zirzensische“ Übung – natürlich auf Umwegen – hervorgebracht hat. Eine „Übung“, welche genauso nutzlos, wie gesundheitsschädlich für das Pferd ist. Im Folgenden möchte ich dies näher erläutern.

Wofür soll die Bergziege eigentlich gut sein?

Um dies etwas zu erhellen, möchte ich einfach mal drei Web-Site-Einträge von Ausbilderinnen zitieren, die diese „Übung“ empfehlen und praktizieren:

1 | „… ist aber ein ideales Training für die Rücken- und Bauchmuskulatur deines Pferdes“.

2 | „Bergziege wird eine klassische Zirkuslektion genannt, bei der das Pferd seine vier Beine unter dem Körper versammelt. So stehen die vier Beine von der Seite betrachtet V-förmig, der Rücken ist aufgewölbt und die Oberlinie maximal gedehnt. Die Bergziege ist eine Koordinations-  und Dehnungsübung.

3 | „Die ‚Bergziege‘ kann beispielsweise eine tolle Vorbereitung sein, um Deinem Pferd eine bessere Idee davon zu vermitteln, mehr Last auf die Hinterhand aufzunehmen und so zum Beispiel eine gesetztere Piaffe zu zeigen“.

Der Rücken spielt bei diesen Gründen eine zentrale Rolle. Deshalb hier ein kurzer Exkurs zu dem, was ich gerne als den Rückenwahn bezeichne …

Wie viele, für das Pferd schädliche Übungen, hat auch die BERGZIEGE ihre „intellektuelle“ Grundlage im RÜCKENWAHN, der zu Anfang des 20. Jahrhunderts sich zu verstärken begann und durch einige „prominente“ Reiter wie Dr. Udo Bürger (Als Oberstveterinär war er Leitender Veterinär-Offizier in den Jahren 1935/36/37 an der Kavallerieschule in Hannover) oder Paul Plinzner (1855 – 1920) „vertreten“ wurde. Beide seien hier – aufgrund ihres Einflusses auf die neuzeitliche Reiterei – lediglich exemplarisch genannt.

Der Rücken sollte sich AUFWÖLBEN, so die Kernaussage des RÜCKENWAHNS.

Auch wenn es damals noch ein paar vernünftige Offiziere, wie Oberleutnant Knebusch gab, die dieser Verrücktheit eines aufgewölbten Rückens widersprachen:

Zu diesem Kapitel gehört auch die ‚elastische Rückenaufwölbung‘ Plinzners. Er meint, der Rücken müsse sorgfältig tragfähig gemacht werden, weil das Soldatenpferd mit Reiter und Ausrüstung wenigstens zwei Zentner tragen müsse. Das sei eine Hauptaufgabe der Ausbildung und diese sei nur zu lösen, wenn man das Pferd veranlasse, den Rücken aufzuwölben. Er übersieht hierbei, dass diese Aufwölbung etwas Krampfhaftes, Gespanntes ist, ein Zustand, den das Pferd nur durch falsche Inanspruchnahme der Muskeln aufrecht erhalten kann. Für kurze Augenblicke lässt sich das leisten; für die Dauer aber muss es versagen.[1]

Jedoch schenkte man seinen Worten kein Gehör – das Fliegen-Mistprinzip setzte sich auch hier durch.

Eine gewisse „Mitschuld“ am Entstehen des RÜCKENWAHNS könnte man auch Gustav Steinbrecht[2] einräumen, da man aus dem folgenden Zitat, leicht den „Wunsch“ nach einem aufgewölbten Rücken herauslesen könnte – wenn – ja wenn man den letzten Satzteil geflissentlich überliest oder fehlinterpretiert:

„Wie der Lastträger die schwere Last nicht mit durchgebogenem, sondern mit gekrümmten Rücken ohne Gefahr für seine Gesundheit trage kann, weil eine gewölbte Stütze besser trägt als eine gerade, so wird das Pferd die ungewohnte Last zunächst mit krummen Rücken aufnehmen, bis sie ihm durch Übung und Gewohnheit keine Last mehr ist.[3]

Natürlich haben diese Herrschaften, dies will ich ihnen zugutehalten, nicht an die Pervertierung der „Rückenaufwölbung“ durch eine „Übung“ wie die „Bergziege“ gedacht. Plinzner beispielsweise, rollte zu diesem fragwürdigen Zweck (Rückenaufwölbung) seine Pferde ein – dies sei nur am Rande erwähnt).

Nun aber zurück zur „Bergziege“ und warum man diese überhaupt nicht praktizieren sollte …

Wer nur Ansatzweise etwas von Anatomie beim Pferd versteht, könnte bei einem kritischen Blick auf ein Pferd in „Bergziegen-Haltung“ die Problem schnell und unschwer erkennen. Wer davon nichts versteht, praktiziert halt diese gesundheitsschädliche „Übung“ im Zweifel weiter.

Ich beginne aber erstmal mit den zweifelhaften Nutzenversprechen, die man der „Bergziege“ neuzeitlich zuschreibt.

Da wäre einmal die in Literatur und neuzeitlicher „Lehre“ omnipräsente AUFWÖLBUNG DES RÜCKENS.

Doch kann sich der Rücken überhaupt AUFWÖLBEN?

Nein, kann er nicht – zumindest nicht so, wie man sich dies gemeinhin vorstellt!

Auch nicht durch noch so tiefe Dehnungshaltung – oder Vorwärts-Abwärts. Allenfalls kann er sich, nachdem der Pferderücken, zu Beginn der Ausbildung des Pferdes, bei der „Gewöhnung an das Reitergewicht“, durch das Reitergewicht geringfügig abgesenkt wurde[4] , durch das Vorziehen der Dornfortsätze des Widerrists, welche aber durch die Gegenbewegungen der Rippen sehr limitiert ist, wieder auf seine NATÜRLICHE LAGE „erheben“.

Das sagten übrigens auch Dr. Udo Bürger und Prof. Dr. Dr. Otto Zietzschmann in ihrem gemeinsamen Buch „Der Reiter formt das Pferd“:

„Werden also die Dornfortsätze nach vorn aufgerichtet, so müssen ihnen die Rücken- und Lendenwirbel nach vorn und oben folgen. Damit wird der Rücken gehoben, d.h. er kommt in seine natürliche Lage zurück.[5]

Darüber hinaus sei angemerkt, dass der „Rücken“ sich nur an zwei Stellen überhaupt „aufwölben“ kann: eben 1. am Widerrist und 2. am Übergang zwischen Rücken- und Lendenwirbelsäule. Beide „Aufwölbungen“ aber führen gleichzeitig zu Absenkungen. Wölbt der Widerrist auf, senkt sich der Brustkorb, wölbt der Lendenbereich auf, senkt sich die Hinterhand, so entsteht der optische Eindruck, der RÜCKEN (also das Mittelteil des Rückens) hätte sich aufgewölbt (wie man dies beim Bild der BERGZIEGE zu erkennen glauben mag), was aber nicht der Fall ist!

Das durch diese „Übung“ ein gewisses TRAINING DER BAUCHMUSKULATUR stattfindet, dem möchte ich nicht wiedersprechen, jedoch ist ein solches Bauchmuskeltraining durch die gesundheitsschädlichen Nachteile der BERGZIEGE bitter erkauft und es gäbe dazu weit bessere Alternativen!

Die Idee, dass durch die BERGZIEGE eine verbesserte LASTAUFNAHME DURCH DIE HINTERHAND trainiert werden könnte, kann man getrost in die Mottenkiste groben Unfugs ablegen und vergessen. Die Gründe, dass eben keine gesunde Lastaufnahme durch die Hinterhand stattfinden kann, sind in der Streckung der Beine der Hinterhand zu finden (siehe FEHLBELASTUNG VON GELENKEN UND BÄNDEN).

Nun aber zur Schädlichkeit der BERGZIEGE …

1 | FEHLBELASTUNG VON GELENKEN UND BÄNDERN | Hierzu betrachten wir einfach mal die Zeichnung (siehe Beitragsbild). Durch die V-Stellung der Beine bei der BERGZIEGE werden die schwächeren unteren Gelenke (orange Punkte) der Vorhand (Karpal- und Fesselgelenke) und der Hinterhand (Sprung- und Fesselgelenke) gegen ihre Beugerichtung (blaue Pfeile) mit dem, nun auf verkleinerter UNTERSTÜTZUNGSFLÄCHE wirkenden, stark nach unten drückender Last (dicke rote Pfeile) be- und überlastet! Schädigungen dieser Gelenke sind damit vorprogrammiert! Auch die Bänder werden dabei stark strapaziert. Die Gefahr von Durchtrittigkeit oder einer Verstärkung bereits vorhandener Durchtrittigkeit in der Hinterhand ist im hohen Maße gegeben.

2 | DAUERSTRESS FÜR DAS REAKTIONSSYSTEM | Die Verteilung der Gesamtmasse des Pferdes auf die stark verkleinerte UNTERSTÜTZUNGSFLÄCHE sorgt für einen enormen Balancier-Stress (psychischer und physischer Stress), der nicht dazu führt, dass das Pferd eine bessere Balancierfähigkeit erlangt, sondern nur im Rahmen dieser „Übung“ lernt etwas länger zu stehen lernt. 

Wer seinem Pferd aktuell die BERGZIEGE abverlangt, oder mit dem Gedanken spielt, diese zu erarbeiten, sollte sich diese letzten beiden, von mir genannten Punkte aufmerksam durchlesen und sich dann ernsthaft die Frage stellen, ob ein billiger SHOWEFFEKT (denn gymnastizierungstechnisch ist diese „Übung“ weitgehend nutzlos) es wert ist, die Gesundheit seines Pferdes aufs Spiel zu setzen!


Autor: Richard Vizethum | Der letzte Stallmeister | Schule der Hippologie


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[1] Oberleutnant Knebusch | „Die Spannung im Pferd und die Mittel sie zu  beseitigen“ |  Verlag von Schickhardt & Ebner (Konrad Wittwer) 1911 | 43. Heft | Teil eines Nachdrucks Olms-Verlag 1992 | Seite 9

[2] Anzumerken sein hier, dass es Paul Plinzner (Schüler von Steinbrecht) war, der Steinbrechts „Gymnasium des Pferdes“ auf Grundlage der Notizen von Steinbrecht verfasste und dabei sicherlich Eigeninterpretationen hat mit einfließen lassen.

[3] Gustav Steinbrecht | „Gymnasium des Pferdes“ | 16. Auflage 1995 (1. Auflage 1884) | Verlag Dr. Rudolf Georgi, Aachen | Seite 69

[4] Meist ist dies auch nur der optische Eindruck bedingt durch eine nach hinten ausgestellte Hinterhand und damit angehobenen Kruppe, die einen abgesenkten Rücken erkennen lassen will.

[5] Dr. Udo Bürger, Prof.Dr.Dr. Otto Zietzschmann | „Der Reiter formt das Pferd“ | 3. Auflage – Nachdruck 2010 | FN-Verlag Warendorf | Seite 19

Rücken- und Schenkelgänger

Rücken- und Schenkelgänger

1882 erschien in 1.Auflage im Hahnverlag das Buch „Die Bearbeitung des Reit- und Kutschpferdes zwischen den Pilaren“ Autor war Bernhard H. von Holleuffer (*1827- † 1888)[1].

Er gilt bei vielen als derjenige, der die Begriffe „RÜCKENGÄNGER“ und „SCHENKELGÄNGER“ erstmalig erwähnte. An anderer Stelle werden die Gebrüder Günther (1859) sowie d´Elpons (1877) genannt.

In seinem Buch schrieb von Holleuffer:

Man unterscheidet deshalb Rückengänger und Schenkelgänger. Die letzteren verrichten die Bewegungen ohne Mitgebrauch der Wirbelsäule, die Bewegungen sind hart oder gespannt, nicht raumgreifend, entweder übereilt oder träge, sie richten ihre Beine und die Reiter zugrunde, sie stehen entweder hinter dem Zügel oder liegen tot auf demselben und sind nicht zuverlässig im Gehorsam“[2].

Die Rückengänger bedienen sich dagegen bei allen Bewegungen der Schwingungen nach vorn und nach unten: je kräftiger und spielender diese sind, je aktiver und raumgreifender, je weicher und elastischer, frischer und entschlossener sind die Bewegungen, die Pferd und Reiter gesund erhalten und das Erstere dem Letzteren in vollkommenem Gehorsam in die Hand spielen.“[3]

Allerdings irrte sich von Holleuffer in seinem Glauben, dass diese Schwingungen in einem sich bei jeder Bewegungsfolge wiederholenden Auf- und Abwölben der Wirbelsäule bestehen.

Dies aufzuklären blieb Gustav Steinbrecht in seinem 1885 erschienenen und von Paul Plinzner aus Steinbrechts Notizen verfassten Werkes „Das Gymnasium des Pferdes“,  sowie dem Schweizer Pferdearzt Hermann Schwyter mit seiner 1907 erschienenen Arbeit „Über das Gleichgewicht des Pferdes“ vorbehalten. Sie führten Holleuffers Theorie „auf ihr richtiges Maß – den HERGEGEBENEN RÜCKEN – zurück“. Aber auch diese Herren brachten nur altes Wissen zu neuen Geltung. Der HERGEGEBENE RÜCKEN und das genaue Verständnis darüber was man darunter zu verstehen hatte, existierten, als feststehende Begrifflichkeit, schon lange vor ihnen, war aber durch Ignoranz der Vergessenheit anheimgestellt worden.

Dieser HERGEGEBENE RÜCKEN war schon bei  E.F. Seidler elementar. Dieser widmete in seinem Werk „Die systematische Bearbeitung des Campagne- und Gebrauchs-Pferdes“ (1837) dem „hergegebenen Rücken“ viel Raum[4]. Auch wies er, ohne den Begriff „Schenkelgänger zu gebrauchen, auf die Gefahr eines „KRAMPFHAFT ANGESPANNTEM  RÜCKEN“[5] hin:

Den Stichtrab muß man bei jungen Pferden in erster Zeit unterdrücken, weil sie diesen nur mit krampfhaft angespanntem Rücken hervorbringen.“ [6]

Was nun aber ist dieser „hergegebene Rücken“ eigentlich?

Ganz schlicht und einfach gesagt: ER IST NICHT KRAMPFHAFT ANGESPANNT – nicht mehr, aber auch nicht weniger!

Was er aber NICHT ist, er ist KEIN AUF- UND ABSCHWINGENDER Rücken, welchem die Rückenfanatiker – die Biomechanik des Pferdes völlig ignorierend – huldigen.

Diese fragwürdige Aussage des Herrn von Holleuffer hat sich leider tief in die Köpfe einiger neuzeitlicher anglomaner Reitergenerationen gefräst und führt zu völlig unsinnigen Trainingsmethoden – wie beispielsweise VORWÄRTS-ABWÄRTS, aber auch ROLLKUR!

Und es führt dazu, dass wirklich gut ausgebildete und gut gehende Pferde mit Kritik überhäuft und diffamiert werden und damit besteht die große Gefahr, dass die GUTEN BILDER mehr und mehr aus unseren Köpfen verschwinden werden.

REITEN UND REITKUNST ADE!


[1] Bernhard Hugo von Holleufer war ein Königlich Preußischer Stallmeister am Militärreitinstitut Hannover

[2] Bernhard Hugo von Holleufer (oder auch Bernhard Hugo von Holleuffer) | „Die Bearbeitung des Reit- und Kutschpferdes zwischen den Pilaren“ | 1882 | Hahn ’sehe Buchhandlung – Hannover | Seite 37

[3] Bernhard Hugo von Holleufer (oder auch Bernhard Hugo von Holleuffer) | „Die Bearbeitung des Reit- und Kutschpferdes zwischen den Pilaren“ | 1882 | Hahn ’sehe Buchhandlung – Hannover | Seite 37

[4] Ernst Friedrich Seidler | „Die systematische Bearbeitung des Campagne- und Gebrauchs-Pferde“ | Ernst Siegfried Mittler Verlag | 1837 | Seiten: 6, 10, 32, 39, 40, und viele Seiten mehr

[5] Ernst Friedrich Seidler | „Die Dressur diffiziler Pferde“ | 2. Nachdruck der Ausgabe Berlin 1846 | Olms-Verlag 1990 | Seite 137f

[6] Ernst Friedrich Seidler | „Leitfaden zur systematischen Bearbeitung des Campagnen- und Gebrauchspferdes“ | Eigenverlag – Gedruckt in der Dietericischen Buchdruckerei (E.G. Mittler) – Berlin | 1837 | Seite 41


Autor: Richard Vizethum | Schule der Hippologie