Der Weg zur Reitkunst – Reitkunst ist der Weg

Autor: Richard Vizethum | Schule der Hippologie | Der letzte Stallmeister | Denkender Reiter

Kann man die „Reitmeister“ der Vergangenheit eigentlich unter dem „gleichen“ Begriff der REITKUNST subsummieren?

Um diese Frage zu beantworten bedarf es einer klaren Definition dessen, was man unter REITKUNST verstehen kann. Würde man heute diese Frage in einer Runde stellen, dann würde die einhellige Meinung vorherrschen, dass REITKUNST sich in jenen überzeichnenden Pferdebewegungen, Piaffen, Passagen, … oder sogar SCHULEN über der Erde ausdrückt. Doch dieses sind lediglich die Produkte einer KUNST.

Der Mensch bequem („Alles was lebt ist faul!“) versucht nun, solcherlei  Produkte zu erschaffen, ohne dabei die KUNST, die zu ihnen hinführt wirklich zu verstehen. Diese KUNST wahrhaftig zu beherrschen und vor allem weiterzuentwickeln war und ist nur sehr wenigen Menschen – den wahrhaft DENKENDEN REITERN – vorbehalten.

REITKUNST ist die körperliche und geistige Formung (UMFORMUNG) eines Lebewesens. REITKUNST bevorzugt oder benachteiligt dabei keine Rassen und Charaktere. REITKUNST schreckt auch nicht vor körperlichen Unzulänglichkeiten der zu formenden „Masse“ zurück. REITKUNST ist bestrebt, jedes „Ausgangsmaterial“ zur Vollkommenheit zu bringen. Einer Vollkommenheit, die nicht eitlem Selbstzweck dient, sondern darauf abzielt, dass es dem Pferd jene Form gibt, in der es sich optimal und energiesparend bei allen noch so hohen Leitungsanforderungen bewegen und dabei ein möglichst langes Pferdeleben lang gesund bleiben kann. 

Diese Begriffsdefinition von REITKUNST stellt den Kulminationspunkt seiner begrifflichen Entwicklung dar. Die LEHRE VOM GRALSWEG wiederum den Kulminationspunkt der Wegbeschreibung dieser KUNST.

Die Völker, welche Pferde zum ersten Mal zu Reitzwecken nutzten, machten sich noch keine Gedanken über die REITKUNST, deren Kunst war es, oben zu bleiben. Das hat sich allerdings bis in die heutige Zeit hinein gehalten. Mit zunehmender Nutzung der Pferde als Reittiere und einem höheren Domestizierungsgrad begannen sich einzelnen Menschen etwas mehr Gedanken über die Pferde und deren Ausbildung zu machen. Xenophon (430 v.Chr. – 354 v.Chr.) sei hier exemplarisch erwähnt, obwohl es sicherlich vor ihm auch schon Reiter gab, die sehr langsam begannen an dem zu entwickeln, was man nun durchaus mit der Überschrift REITKUNST versehen kann. Zu Xenophon sei angemerkt, dass er in der „Pferdeliebe“, die man ihm heute nachsagt, völlig überschätzt. Aber gegenüber den, nur draufspringenden und lospreschenden „Reitern“, denen ein Pferd im Falle seiner Vernichtung immer noch als Nahrungsmittel dienen konnte, war dies schon ein erster guter Entwicklungsschritt.

Der Italiener Grisone (1507 – 1570), dem man nachsagt Xenophon in der ersten lateinische Übersetzung von Camerarius aus dem Jahr 1537 gelesen zu haben, versuchte hier weiterzuentwickeln. Die Methoden, welche man als experimentell bezeichnen muss, waren sicherlich zum Teil extrem brutal (man kennt vielleicht das Bild von Grisone, wo er ein Pferd in extremer Rollkur reitet – als Beispiel), aber man wußte es einfach noch nicht besser und tastete sich vor.

Die christliche Glaubenslehre, die den Menschen über alle anderen Lebewesen stellt,  trug sicherlich auch dazu bei, dass man nicht zwingend bestrebt war, immer gleich zu versuchen das feinste Mittel zu finden. Auch waren die Pferde – auch wegen der rüden Behandlungen, der Aufstallungen etc. – sicherlich nicht immer ganz ungefährlich. 

Salomon de Broue (1530 – 1610) ein Schüler von Giovanni Pignatelli (1540 – 1600), der wiederum ein Schüler von Grisone war, versuchte nun an vielen Stellen bereits die eine oder andere „feinere“ Methodik, hing aber immer noch der neapolitanischen Gewaltschule an und brachte diese nach Frankreich.

Die REITKUNST entwickelte sich und die Brutalitäten in Methoden und Handeln wurden weniger. Namen wie Antoine de Pluvinel (1552 – 1620), William Cavendish, der 1. Herzog von Newcastle (1592 – 1676) und schließlich François Robichon de la Guérinière (1688 – 1751) trugen hier, die REITKUNST entwickelnd, viel dazu bei. Man hatte inzwischen einfach schon deutlich mehr Wissen (Wo Wissen fehlt – regiert die Gewalt).

Eine weitere, zunächst letzte, aber umso mächtigere Entwicklung, erfuhr die REITKUNST, hin zu einer immer feineren, effizienteren Form, durch die preußischen Stallmeister zur Zeit Friedrichs des Großen und darüber hinaus noch bis etwas zur Mitte des 19. Jahrhunderts. Diese Stallmeister, zum Teil im Range von Professoren, welche Hippologie an Universitäten lehrten, gingen die Pferdeausbildung höchst wissenschaftlich an. Nie vorher in der Geschichte wußte man mehr über Pferde, deren Verhalten und einer feinen und hochqualifizierten Pferdeausbildung wie bei den alten Preußen des 18. und auslaufend bis Mitte 19. Jahrhundert.

Dennoch hatten auch diese Stallmeister den GRALSWEG noch nicht vollständig beschritten. Es gab noch etwas, wenn auch nur sehr wenig, Entwicklungspotenzial zu noch mehr Feinheit.

Jedoch gab es ab Mitte des 19. Jahrhunderts eine schwerwiegende Zäsur. Jene schon zu Zeiten des Herzogs von Newcastle und wahrscheinlich schon davor sehr beliebte und von England ausgehende, Jagdreiterei, fand immer mehr Anklang auf dem Kontinent. Ein Grund für die nahezu schlagartige Verbreitung, welche Jagd- und damit auch die Sport- und Geländereiterei, ab Mitte des 19. Jahrhunderts fanden, darf auch auf Veränderungen im Verwendungszweck der Kavallerie zurückgeführt werden.

Für diese, auf Grund ihres Ursprungs, als ANGLOMANE REITEREI (Englisch Reiten) bezeichnete Form des Reitens, zählte ein Pferdeleben nicht besonders viel. Mit ihr kehrte man wieder in eine Zeit der Naturreiterei zurück, für welche REITKUNST keine Rolle spielte und die Kunst der Ausübenden eben lediglich darin bestand im Sattel zu bleiben. Genau diese Reiterei haben wir auch heute noch. Die Dressurreiter (beispielsweise) heutiger Zeit haben von REITKUNST nicht die geringste Ahnung, sie lernen oben zu bleiben und ihre Pferden müssen die Lektionen „auswendig“ lernen – mehr ist da nicht, von Springreitern will ich gar nicht erst reden!

Die ANGLOMANE REITEREI, für die Pferdeleben und -gesundheit nichts zählt, hat auch jeden Feinheitsgrad wieder verdrängt und Rohheit und Brutalität den Pferden gegenüber Tür und Tor geöffnet.  

Alle sogenannten Reitmeister der Neuzeit sind nur Nachahmer, die nichts zur Entwicklung der REITKUNST beizutragen haben. Deren Verdienst aber liegt darin, dass sie zumindest versuchen etwas von dem Wissen der Vergangenheit gegen einen Tsunami der Inkompetenz und Gedankenlosigkeit zu stellen, was man hoch anrechnen muss.

Die REITKUNST und ihre wenigen (wissenschaftlichen) Entwickler, kann man durchaus unter einem Begriff subsummieren, denn REITKUNST musste sich entwickeln. Dabei immer aufbauend auf dem Wissen der Vergangenheit (und sei dieses vielleicht auch noch so brutal gewesen).

Meine LEHRE VOM GRALSWEG stellt zwar den Kulminationspunkt dieser Entwicklung dar, aber steht auf den Schultern all jener, wenigen (NACH)DENKENDEN REITER der Vergangenheit, welche zur Entwicklung einer der großartigsten Künste beigetragen haben: DER REITKUNST.


Autor: Richard Vizethum | Schule der Hippologie | der letzte Stallmeister | (Nach)denkender Reiter


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Eine Wendung offenbart es

In der Herresdruckvorschrift 12 (HDv.12.) von 1937 finden sich auf Seite 30 zwei sehr aufschlussreiche Bilder, welche weniger Aussage über den reiterlichen SITZ, dafür aber umso mehr über die Anforderungen und die Qualität der Kavallerie zu Zeiten der Wehrmacht[1] aussagen.

Bei beiden Bildern geht es um den Sitz beim Durchreiten einer WENDUNG. Das linke Bild zeigt einen Reiter mit eingeknickter Hüfte, dessen Sitz man damit zu Recht als fehlerhaft bezeichnen muss.

Beim rechten Bild nun sitzt der Reiter in einer Linie mit dem Pferd. Laut HDv. 12 von 1937 wird von einen „richtigen Sitz“ gesprochen. Beschränkt man seine Beurteilung auf die Unterschiedlichkeiten zwischen diesen beiden Bildern und bezogen auf den Sitz, so muss man geneigt sein, der Bewertung gemäß Dienstvorschrift zu folgen.

Löst man sich vom aber SITZ des Reiters und bewertet die AKTION, sprich das Durchreiten einer WENDUNG, dann muss man beiden Bildern attestieren, das beide FALSCH sind! Und damit sind wir bei den Anforderungen und der Ausbildungs-Qualität der Kavallerie zur damaligen Zeit.

Die Wehrmachtsreiter waren keine KAVALLERISTEN und ihre Pferde keine ausgebildeten KAVALLERIE-PFERDE mehr!

Im Feldzug von 1870/71 gegen Frankreich, fand am 16. August 1870 die Schlacht von Vionville – Mars la Tour[2] statt. Deren Bedeutung liegt unter anderem darin, dass es die letzte große Schlacht war, in der die Kavallerie neben der Artillerie und der Infanterie gleichberechtigten Anteil am Ausgang der Schlacht hatte. Danach begann der Abstieg hin zur militärischen Bedeutungslosigkeit, trotz mancher Bemühungen diesen zu verhindern.

Spätestens nach dem 1. Weltkrieg, in dem ca. 8 Millionen Pferde (!), Reit- und Zugpferde, ums Leben gekommen waren und der, flapsig ausgedrückt, „mit Pferden begann und mit Panzern endete“, sollte auch dem letzten Kavallerieromantiker klar geworden sein, dass eine moderne Armee keinen Bedarf für eine Kavallerie mehr hat.

Das Einzige, was für diese einst stolze Kavallerie an Einsatz-Szenarien noch Sinnhaftes[3] blieb, waren Aufklärungs- und Sabotageritte, welche bereits 1870/71 schon verstärkter durchgeführt wurden.

Gleichzeitig mit dem Abstieg der Kavallerie in die militärische Bedeutungslosigkeit kam es zu einer Renaissance einer Reiterei, welche bereits bei den Reitervölkern und zwar ausschließlich praktiziert wurde: Der NATÜRLICHEN METHODE! 

Diese Wortschöpfung als Bezeichnung für eine Ausbildungsart, die von Italien[4] ihren Ausgang nahm, ist sehr treffend. Man kann sich eigentlich gar nicht vorstellen, daß es unter Leuten vom Fach über die Auslegung Meinungsverschiedenheiten geben kann. Caprilli und seine Schüler haben seine Gedanken und Grundsätze im Springsport und im Gelände angewandt und ein Ausbildungssystem geschaffen, welche die italienischen Reiter jener Zeit in schnellem Aufstieg an die Spitze des Sports führte. Alle Welt horchte auf und ahmte nach.[5]

Das Credo dieser, nahezu auf Gymnastizierung und Durchbildung der Pferde verzichtende Ausbildungsform, lautete: „Das Gelände wird es schon richten!“.

Auch die deutsche Wehrmachtsreiterei schloß sich dieser pferdeverschleißenden Mode an, gleichwohl sie gegenüber den anderen nachahmenden Nationen, zumindest noch ein bisschen Gymnastizierung und dressurmäßige Arbeit einbaute, wobei der Freiherr von Waldenfels[6] sich wohl ausgezeichnet hat (lt. Udo Bürger).

Den geneigten Leser mag spätestens jetzt ein Licht aufgegangen sein, wohin die Reise der „Kavallerie“ ging: zur SPORTREITEREI!

Und diese Aussage bringt mich nun wieder zurück zu diesen beiden Bildern

Pferde, welche so durch eine Wendung gehen, liegen mit einem hohen Gewichtsanteil auf ihrer inneren Schulter, was nicht nur zu einer erheblichen, gesundheitsunverträglichen Ungleichbelastung der Struktur, sondern auch zu einer starken Reduzierung der Beweglichkeit führt.

Wäre ein solches Pferd, wie dies zu früheren Zeiten bei der Kavallerie gang und gäbe war, im Einzelkampf aktiv und würde so in die Wendung fallen, bedürfte es für einen Richtungswechsel mehrerer Zwischenschritte und einen erheblichen Energieverbrauch, unabhängig von der Gefährdung der sich Ross und Reiter durch den Gegner aussetzen würden!

Die beiden Bilder nun zeigen ein rein (ungesund) sportlich gerittenes Pferd, bei dem der GALOPP und die Geschwindigkeit im Vordergrund stehen, und dies ohne Rücksicht auf Verluste! Der Verschleiß, den eine solche Reiterei den Pferden bescherte kann man an den hohen Ausfallzahlen der damaligen Zeit ablesen.

Auch bei einem sportlich gerittenen Pferd sollten stets beide Schultern erhoben sein und das Pferd wie eine alte Straßenbahn und nicht wie ein Zug mit Neigetechnik oder ein Motorrad durch die Wendung gehen. Die erhobenen Schultern halten nicht nur das Pferd langfristig gesund, sondern es kann in seinen Aktionen auch bedeutend beweglicher und schneller agieren!

Die angesprochene Wehrmachtsreiterei steht bedauerlicherweise als VORBILD für die moderne Reiterei und leistete auch maßgebliche Beiträge zur SKALA DER AUSBILDUNG. Einer „Lehre“ deren angesprochene Grundlage von Seiten ihren Verfechter – in maßloser Überschätzung – als KLASSISCH bezeichnet und deren UNUMSTÖSSLICHKEIT (d.h. Zeitlosigkeit) attestiert wird.

Als VORBILD aber sollte man sich immer das BESTE und nicht das Mittelmäßige oder gar Schlechte erwählen.

Die Wehrmachts-Reiterei war keine KAVALLERIE mehr. Sie kann so wenig als Vorbild für die beste Militärreiterei, wie für eine GESUNDE SPORTREITEREI (die wir auch deshalb heute nicht haben) genutzt werden!


Autor: Richard Vizethum | Der letzte Stallmeister | Schule der Hippologie


[1] Mit dem Gesetz zur Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht vom 16. März 1935 wurde die Reichswehr in Wehrmacht unbenannt.

[2] Die Schlacht bei Mars-la-Tour (in den Quellen auch Schlacht bei Vionville oder Schlacht bei Rezonville) wurde am 16. August 1870 während des Deutsch-Französischen Krieges in der Nähe der Ortschaften Mars-la-Tour und Vionville im Nordosten Frankreichs, etwa 20 Kilometer westlich von Metz geschlagen. (Wikipedia)

[3] Versuche, wie es die Polen zu Beginn des 2. Weltkriegs taten, wo sie mit Pferden, in Formationen irregulärer Kavallerie, gegen deutsche Panzer ritten, darf man als Ausdruck sturer Kavallerieromantiker bezeichnen, die aus dem 1. Weltkrieg keine Lehren gezogen haben und deren UNSINNIGEN Befehle Pferden und Reitern das Leben kostete.

[4] Über die italienische Reiterei, welche nach der Neapolitanischen Schule vermehrt der Bedeutungslosigkeit anheimfiel möchte ich sonst weiter keine Worte verlieren, denn diese wären alles andere als freundlich.

[5] Dr. Udo Bürger | „Vollendete Reitkunst“ | Verlag Paul Parey | 5.Auflage 1982 (Erstauflage1959) | Seite 80

[6] Rudolf Otto Hans Freiherr von Waldenfels (* 23. September 1895 in Ingolstadt; † 14. August 1969 in Rottach-Egern) war ein deutscher Springreiter sowie Offizier, zuletzt Generalleutnant im Zweiten Weltkrieg. (https://de.wikipedia.org/wiki/Rudolf_von_Waldenfels_(General)


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Gewichtig „helfen“

oder der Mythos: Reiten über Gewichtshilfen

Aus der LEHRE VOM GRALSWEG – Bd. 2 „Reiter und Pferd“ (Autor: Richard Vizethum)

Grundsätzlich sollte man sich von der Vorstellung verabschieden, dass  über das GEWICHT geritten werden würde. Ein solcher Gedanke führt unbewusst, sehr häufig aber auch ganz bewusst, zu mitunter deutlichen Gewichtsverlagerungen durch den Reiter. Die Struktur des Pferdes wird dadurch ungleich belastet. Dies wiederum zwingt das Pferd zu Ausgleichsbewegungen, welche oft nicht zu dem, vom Reiter gewünschten Ergebnis führen.

Meist gleichen die Pferde Gewichtsverlagerungen dadurch aus, dass sie, wenn der Druck auf das belastete Bein zu groß wird, auf das geringer belastete Bein umlasten und damit vom Gewicht weggehen.

Hat man das eigene Gewicht in einer Ecke beispielsweise etwas nach Innen gebracht, um das Pferd zum Abwenden zu bringen, sagen wir mal nach rechts, dann lastet das Pferd nach links um und geht damit über die äußere Schulter. Der Reiter meint, das Pferd drängt willentlich nach Außen und  reagiert meist mit verstärktem Einsatz des inneren Zügels[1]. Damit bringt er, vor allem wenn er mit dem Zügelanzug den Hals des Pferdes über die UNTERSTÜTZUNGSFLÄCHE[2] hinaus, seitlich verbiegt (was stets vermieden werden sollte), vermehrter Gewicht auf die innere Schulter des Pferdes und verstärkt damit das „über die äußere Schulter gehen“ weiter.

Geschieht allerdings die Gewichtsverlagerung abrupt, weil beispielsweise der Reiter ruckartig sein Gewicht vermehrter nach innen geworfen und/oder das Pferd bei höherer Gangart zu tief in die Ecke „gejagt“ hat und dieses dazu genötigt wird, extremer über die innere Schulter zu fallen, was dem Pferd ein Umlasten auf das geringer belastete Bein nicht (mehr) möglich macht, dann „fällt“ das Pferd auf diese Schulter und kippt nach Innen – folgt also dem Gewicht. Gleiches passiert auch, wenn das Pferd mit stärkerer Außenstellung durch die Ecke geht bzw. gehen muss[3].

Auch in solchen Situationen reagiert der Reiter in der Regel reflexartig falsch, indem er versucht durch Anheben der inneren Reiterhand, die Schulter des Pferdes wieder zum Aufrichten zu bringen. Dies behindert nur das Pferd in dessen Abfangbemühungen.

GEWICHTSVERLAGERUNGEN ZWINGEN DAS PFERD IMMER ZU NOTREAKTIONEN

Durch Verlagerungen des Gewichtes zwingt man das Pferd IMMER zu  „Notreaktionen“ und versetzt es in STRESS[4]. Dies wäre nicht nötig, wenn  man sich von der fixen Idee „des Reitern übers Gewicht“ gänzlich verabschieden würde.

Stattdessen sollte man stets darauf bedacht sein, dass beide SITZBEINHÖCKER gleichgewichtig belastet werden und dass die Körperdrehung (Drehachse INNERER SITZBEINHÖCKER), und nicht das Gewicht, die Richtungsänderungen bedingen. Natürlich führt auch diese Körperdrehung zu leichten Veränderungen der Gewichtssituation, aber ohne, dass dadurch eine signifikante Instabilität verursacht wird. Im Gegenteil: Die Schultern des Pferdes bleiben, wie auch die des Reiters, beide oben und das Pferd geht sicher durch die Wendung oder auch durch einen Galopp-Wechsel, dieser sei hier am Rande erwähnt, denn was man da an gewichtsverlagernden Aktivitäten oft zu sehen bekommt ist genauso gruselig, wie völlig falsch!


Autor: Richard Vizethum | Der letzte Stallmeister | Schule der Hippologie


[1] Dies geschieht häufig als unbewusster Reflex, da der eigene Körper versucht, mit dem naheliegendsten Mittel, einen durch diese Situation ausgelösten Balance- und Sicherheitsverlust zu korrigieren.

[2] Hier der Teil, der durch die gedankliche Verlängerung der Schultern des Pferdes nach vorne definiert wird.

[3] Dies kann gewollt sein, wie beispielsweise beim KONTERSCHULTERHEREIN (welche als Übung in der LEHRE VOM GRALSWEG nicht geritten wird, weil völlig unnötig und für das Pferd Stressbelastet) oder aber durch Sitzfehler des Reiters (häufigste Ursache) begünstigt werden. So dreht sich ein menschlicher RECHTSHÄNDER vermehrt nach Links (beim LINKSHÄNDER ist dies umgekehrt) und nimmt das Pferd (wenn dieses auch Rechtshänder ist, dann noch vermehrter) in diese STELLUNG mit. Auch das häufig gelehrte, aber völlig falsche Vorschieben der inneren Schulter des Reiters (häufig im Westernreiten zu sehen) und damit auch der inneren Hüfte, hat eine solche Außenstellung des Pferdes zur Folge.

[4] STRESS bedeutet immer zusätzlicher, unnötiger Energieverbrauch und damit zeitlich gesehen, schnelleren Leistungsverlust. Darüber hinaus, je nach dem wie stark der Reiter durch Fehlverhalten zu dieser Situation beigetragen hat, beeinträchtigt dieser STRESS auch das Vertrauensverhältnis zwischen Pferd und Reiter.


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Die Kandare – nur ein paar Worte dazu

Ist die Kandare wirklich DAS Instrument, welches die Hilfengebung verfeinert, wie man allendhalben zu hören oder lesen bekommt?

Otto Digeon von Monteton, mein Seelenverwandter, hat über die Kandare ganz pragmatisch gesagt, sie sei
DIE EINZIG MÖGLICHE KRIEGSZÄUMUNG[1].

Und genau das ist sie auch: eine Kriegszäumung!

Ansonsten war Otto, wie ich auch, der Meinung, dass „die gewöhnliche Wasser- oder Doppel-Trense das einzig brauchbare Ausbildungswerkzeug ist[2] und die Kandarenreife dann erreicht ist, wenn alle Lektionen der Hohen Schule einhändig auf Trense geritten werden können.

Die Befürworter der Kandare scheinen dagegen der Meinung zu sein, dass man mit der Trense diesen hohen Grad von Feinheit, den sie erwarten, nicht erreichen könne, da die Trense beispielsweise beim Aspekt der BEIZÄUMUNG weniger wirksam sei. Eine solche Aussage ist FALSCH und drückt in gewissem Sinne sogar Unkenntnis bezüglich der wahren Möglichkeiten der Trense aus!

Ein auf Trense beigezäumtes Pferd muss sich darauf eingelassen haben die Nase entsprechend der Aufrichtung immer näher an die Senkrechte heranzunehmen. Dies bedarf Geduld und es ist stallmeisterliche Kunst einen Pferdehals und dessen Halswirbelsäule mit Hilfe der Trense zu FORMEN.

Bei der Kandare ist diese Willensäußerung des Pferdes nicht notwendig, die Beizäumung geht schneller, aber die Qualität der Halsausformung erreicht nicht das mit Trense erreichbare Niveau. Im Gegenteil, durch die Genickwirkung der Kandare  produziert man einen zweiten „falschen Knick“. Dieser kann das Pferd in manchen Situationen auf die Vorhand bringen, einen Effekt, den man bei vielen „klassisch“ gerittenen Pferden erkennen kann.  

Mit TRENSE bedarf es KÖNNEN – mit KANDARE kann man MANIPULIEREN!
Während auf Trense Ausbildungsfehler sofort sichtbar werden, kann man diese mit der Kandare leichter überspielen.

Oft hört man, insbesondere dann, wenn die Kandare als feines Mittel präsentiert werden soll, folgenden Satz:

 „Die Trense bäumt, die Kandare zäumt!

Dabei wird einem gar nicht so bewusst, dass dieser Spruch – und hier wage ich eine gar nicht so abwegige Hypothese – wohl in einer Zeit seine Entwicklung nahm, in der Teile der Reiterschaft alles andere als fein und pferdefreundlich ritten.

Getreu nach dem Motto „Alles was lebt ist faul!“ (Rittmeister von W.) versuchte man die Aufrichtung und Beizäumung der Hohen Schule zu imitieren, dabei aber maßgebliche Entwicklungsschritte auslassend, eine gewaltige und für die Pferde sehr unfreundliche Abkürzung zu nehmen.

Nicht, wie bei der wahren HOHEN SCHULE, wo man erst zum Ende der Ausbildung die maximale AUFRICHTUNG und Beizäumung  zu erzielen trachtete, begannen diese „Reitersleut“ schon zu Beginn der Ausbildung die Pferde – auf Trense – hoch aufzurichten (DIE TRENSE BÄUMT) und dabei das Pferd stark auf die unvorbereiteten Hanken zu setzen.

Dabei war es ihnen auch egal, dass der Kopf des Pferdes in eine nahezu waagerechte Stellung gebracht, die Hinterhand ausgestellt und die Kruppe hochkam, was den Eindruck eines weggedrückten Rückens entstehen ließ.

Diese, zunächst im Stehen erarbeitete Aufrichtung sollte auch in der Bewegung erhalten bleiben.

Erst nach einer Weile begann man, nun mit Kandare (DIE KANDARE ZÄUMT), den Pferdekopf heranzuarbeiten. Die Pferde ließen sich das natürlich nicht gefallen und versuchten, wenn sie die Möglichkeit hatten, vom Zügel loszukommen.

So geschah es auch bei jenem Quedlinburger 7. Kürassier-Regiment[3], welches den Auftrag bekam in der Zeit von 1842 – 1843 die Methode Bauchers auszuprobieren. Dieser Versuch ging voll in die Hose. Beim großen Kavalleriemanöver vor Berlin im Herbst 1843 unter Generalleutnant von Wrangel, hoben sich die so ausgebildeten Pferde, „keinem Zügel mehr gehorchend“ (frei nach Schiller), reihenweise aus der Zäumung. Natürlich sehr ungünstig für ein Kavalleriepferd. Anzumerken sei allerdings, dass Baucher zu dieser Zeit noch ausschließlich die Pferde auf Kandare ausbildete und ausbilden ließ.

Die „unbedingte BeizäumungBauchers, wurde daraufhin ein für alle Mal bei den Preußen verboten. Die Ablehnung der Methode Bauchers hatte also, nicht wie einige Autoren dies darstellten, nationalistische, sondern rein pragmatische und sicherheitstechnische  Gründe.

Das Ganze war natürlich alles andere als gesund für die Pferde, vielleicht ein Grund über den Satz: „Die Trense bäumt, die Kandare zäumt!“ nochmal nachzudenken.

Zum vorläufigen Abschluss noch ein Zitat von Otto Digeon von Monteton:

Ein gerittenes Pferd geht auf jeden alten Bindfaden statt des Mundstücks …[4] (geritten bedeutet hier rittig/voll ausgebildet)


Autor: Richard Vizethum | Der letzte Stallmeister | Schule der Hippologie


Den Text auch als Podcast (Play-Taste drücken) …


[1] Otto Digeon von Monteton – Über die Reitkunst Seite 12

[2] Otto Digeon von Monteton – Über die Reitkunst Seite 177

[3] Allerdings dürfte nicht das komplette Regiment, wie ich zunächst aus den Veröffentlichungen annahm an diesem Versuch teilgenommen haben, sondern lediglich die 3. in Quedlinburg garnisonierte Eskadron dieses Regiments.

[4] Otto Digeon von Monteton – „Über die Reitkunst“ Seite 177

Die Bergziege

Aus der Rubrik: IRRUNGEN IN DER MODERNEN PFERDEARBEIT

Das Pferd wurde nach einem Foto gezeichnet

Es war im Grunde der RÜCKENWAHN, der diese „zirzensische“ Übung – natürlich auf Umwegen – hervorgebracht hat. Eine „Übung“, welche genauso nutzlos, wie gesundheitsschädlich für das Pferd ist. Im Folgenden möchte ich dies näher erläutern.

Wofür soll die Bergziege eigentlich gut sein?

Um dies etwas zu erhellen, möchte ich einfach mal drei Web-Site-Einträge von Ausbilderinnen zitieren, die diese „Übung“ empfehlen und praktizieren:

1 | „… ist aber ein ideales Training für die Rücken- und Bauchmuskulatur deines Pferdes“.

2 | „Bergziege wird eine klassische Zirkuslektion genannt, bei der das Pferd seine vier Beine unter dem Körper versammelt. So stehen die vier Beine von der Seite betrachtet V-förmig, der Rücken ist aufgewölbt und die Oberlinie maximal gedehnt. Die Bergziege ist eine Koordinations-  und Dehnungsübung.

3 | „Die ‚Bergziege‘ kann beispielsweise eine tolle Vorbereitung sein, um Deinem Pferd eine bessere Idee davon zu vermitteln, mehr Last auf die Hinterhand aufzunehmen und so zum Beispiel eine gesetztere Piaffe zu zeigen“.

Der Rücken spielt bei diesen Gründen eine zentrale Rolle. Deshalb hier ein kurzer Exkurs zu dem, was ich gerne als den Rückenwahn bezeichne …

Wie viele, für das Pferd schädliche Übungen, hat auch die BERGZIEGE ihre „intellektuelle“ Grundlage im RÜCKENWAHN, der zu Anfang des 20. Jahrhunderts sich zu verstärken begann und durch einige „prominente“ Reiter wie Dr. Udo Bürger (Als Oberstveterinär war er Leitender Veterinär-Offizier in den Jahren 1935/36/37 an der Kavallerieschule in Hannover) oder Paul Plinzner (1855 – 1920) „vertreten“ wurde. Beide seien hier – aufgrund ihres Einflusses auf die neuzeitliche Reiterei – lediglich exemplarisch genannt.

Der Rücken sollte sich AUFWÖLBEN, so die Kernaussage des RÜCKENWAHNS.

Auch wenn es damals noch ein paar vernünftige Offiziere, wie Oberleutnant Knebusch gab, die dieser Verrücktheit eines aufgewölbten Rückens widersprachen:

Zu diesem Kapitel gehört auch die ‚elastische Rückenaufwölbung‘ Plinzners. Er meint, der Rücken müsse sorgfältig tragfähig gemacht werden, weil das Soldatenpferd mit Reiter und Ausrüstung wenigstens zwei Zentner tragen müsse. Das sei eine Hauptaufgabe der Ausbildung und diese sei nur zu lösen, wenn man das Pferd veranlasse, den Rücken aufzuwölben. Er übersieht hierbei, dass diese Aufwölbung etwas Krampfhaftes, Gespanntes ist, ein Zustand, den das Pferd nur durch falsche Inanspruchnahme der Muskeln aufrecht erhalten kann. Für kurze Augenblicke lässt sich das leisten; für die Dauer aber muss es versagen.[1]

Jedoch schenkte man seinen Worten kein Gehör – das Fliegen-Mistprinzip setzte sich auch hier durch.

Eine gewisse „Mitschuld“ am Entstehen des RÜCKENWAHNS könnte man auch Gustav Steinbrecht[2] einräumen, da man aus dem folgenden Zitat, leicht den „Wunsch“ nach einem aufgewölbten Rücken herauslesen könnte – wenn – ja wenn man den letzten Satzteil geflissentlich überliest oder fehlinterpretiert:

„Wie der Lastträger die schwere Last nicht mit durchgebogenem, sondern mit gekrümmten Rücken ohne Gefahr für seine Gesundheit trage kann, weil eine gewölbte Stütze besser trägt als eine gerade, so wird das Pferd die ungewohnte Last zunächst mit krummen Rücken aufnehmen, bis sie ihm durch Übung und Gewohnheit keine Last mehr ist.[3]

Natürlich haben diese Herrschaften, dies will ich ihnen zugutehalten, nicht an die Pervertierung der „Rückenaufwölbung“ durch eine „Übung“ wie die „Bergziege“ gedacht. Plinzner beispielsweise, rollte zu diesem fragwürdigen Zweck (Rückenaufwölbung) seine Pferde ein – dies sei nur am Rande erwähnt).

Nun aber zurück zur „Bergziege“ und warum man diese überhaupt nicht praktizieren sollte …

Wer nur Ansatzweise etwas von Anatomie beim Pferd versteht, könnte bei einem kritischen Blick auf ein Pferd in „Bergziegen-Haltung“ die Problem schnell und unschwer erkennen. Wer davon nichts versteht, praktiziert halt diese gesundheitsschädliche „Übung“ im Zweifel weiter.

Ich beginne aber erstmal mit den zweifelhaften Nutzenversprechen, die man der „Bergziege“ neuzeitlich zuschreibt.

Da wäre einmal die in Literatur und neuzeitlicher „Lehre“ omnipräsente AUFWÖLBUNG DES RÜCKENS.

Doch kann sich der Rücken überhaupt AUFWÖLBEN?

Nein, kann er nicht – zumindest nicht so, wie man sich dies gemeinhin vorstellt!

Auch nicht durch noch so tiefe Dehnungshaltung – oder Vorwärts-Abwärts. Allenfalls kann er sich, nachdem der Pferderücken, zu Beginn der Ausbildung des Pferdes, bei der „Gewöhnung an das Reitergewicht“, durch das Reitergewicht geringfügig abgesenkt wurde[4] , durch das Vorziehen der Dornfortsätze des Widerrists, welche aber durch die Gegenbewegungen der Rippen sehr limitiert ist, wieder auf seine NATÜRLICHE LAGE „erheben“.

Das sagten übrigens auch Dr. Udo Bürger und Prof. Dr. Dr. Otto Zietzschmann in ihrem gemeinsamen Buch „Der Reiter formt das Pferd“:

„Werden also die Dornfortsätze nach vorn aufgerichtet, so müssen ihnen die Rücken- und Lendenwirbel nach vorn und oben folgen. Damit wird der Rücken gehoben, d.h. er kommt in seine natürliche Lage zurück.[5]

Darüber hinaus sei angemerkt, dass der „Rücken“ sich nur an zwei Stellen überhaupt „aufwölben“ kann: eben 1. am Widerrist und 2. am Übergang zwischen Rücken- und Lendenwirbelsäule. Beide „Aufwölbungen“ aber führen gleichzeitig zu Absenkungen. Wölbt der Widerrist auf, senkt sich der Brustkorb, wölbt der Lendenbereich auf, senkt sich die Hinterhand, so entsteht der optische Eindruck, der RÜCKEN (also das Mittelteil des Rückens) hätte sich aufgewölbt (wie man dies beim Bild der BERGZIEGE zu erkennen glauben mag), was aber nicht der Fall ist!

Das durch diese „Übung“ ein gewisses TRAINING DER BAUCHMUSKULATUR stattfindet, dem möchte ich nicht wiedersprechen, jedoch ist ein solches Bauchmuskeltraining durch die gesundheitsschädlichen Nachteile der BERGZIEGE bitter erkauft und es gäbe dazu weit bessere Alternativen!

Die Idee, dass durch die BERGZIEGE eine verbesserte LASTAUFNAHME DURCH DIE HINTERHAND trainiert werden könnte, kann man getrost in die Mottenkiste groben Unfugs ablegen und vergessen. Die Gründe, dass eben keine gesunde Lastaufnahme durch die Hinterhand stattfinden kann, sind in der Streckung der Beine der Hinterhand zu finden (siehe FEHLBELASTUNG VON GELENKEN UND BÄNDEN).

Nun aber zur Schädlichkeit der BERGZIEGE …

1 | FEHLBELASTUNG VON GELENKEN UND BÄNDERN | Hierzu betrachten wir einfach mal die Zeichnung (siehe Beitragsbild). Durch die V-Stellung der Beine bei der BERGZIEGE werden die schwächeren unteren Gelenke (orange Punkte) der Vorhand (Karpal- und Fesselgelenke) und der Hinterhand (Sprung- und Fesselgelenke) gegen ihre Beugerichtung (blaue Pfeile) mit dem, nun auf verkleinerter UNTERSTÜTZUNGSFLÄCHE wirkenden, stark nach unten drückender Last (dicke rote Pfeile) be- und überlastet! Schädigungen dieser Gelenke sind damit vorprogrammiert! Auch die Bänder werden dabei stark strapaziert. Die Gefahr von Durchtrittigkeit oder einer Verstärkung bereits vorhandener Durchtrittigkeit in der Hinterhand ist im hohen Maße gegeben.

2 | DAUERSTRESS FÜR DAS REAKTIONSSYSTEM | Die Verteilung der Gesamtmasse des Pferdes auf die stark verkleinerte UNTERSTÜTZUNGSFLÄCHE sorgt für einen enormen Balancier-Stress (psychischer und physischer Stress), der nicht dazu führt, dass das Pferd eine bessere Balancierfähigkeit erlangt, sondern nur im Rahmen dieser „Übung“ lernt etwas länger zu stehen lernt. 

Wer seinem Pferd aktuell die BERGZIEGE abverlangt, oder mit dem Gedanken spielt, diese zu erarbeiten, sollte sich diese letzten beiden, von mir genannten Punkte aufmerksam durchlesen und sich dann ernsthaft die Frage stellen, ob ein billiger SHOWEFFEKT (denn gymnastizierungstechnisch ist diese „Übung“ weitgehend nutzlos) es wert ist, die Gesundheit seines Pferdes aufs Spiel zu setzen!


Autor: Richard Vizethum | Der letzte Stallmeister | Schule der Hippologie


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[1] Oberleutnant Knebusch | „Die Spannung im Pferd und die Mittel sie zu  beseitigen“ |  Verlag von Schickhardt & Ebner (Konrad Wittwer) 1911 | 43. Heft | Teil eines Nachdrucks Olms-Verlag 1992 | Seite 9

[2] Anzumerken sein hier, dass es Paul Plinzner (Schüler von Steinbrecht) war, der Steinbrechts „Gymnasium des Pferdes“ auf Grundlage der Notizen von Steinbrecht verfasste und dabei sicherlich Eigeninterpretationen hat mit einfließen lassen.

[3] Gustav Steinbrecht | „Gymnasium des Pferdes“ | 16. Auflage 1995 (1. Auflage 1884) | Verlag Dr. Rudolf Georgi, Aachen | Seite 69

[4] Meist ist dies auch nur der optische Eindruck bedingt durch eine nach hinten ausgestellte Hinterhand und damit angehobenen Kruppe, die einen abgesenkten Rücken erkennen lassen will.

[5] Dr. Udo Bürger, Prof.Dr.Dr. Otto Zietzschmann | „Der Reiter formt das Pferd“ | 3. Auflage – Nachdruck 2010 | FN-Verlag Warendorf | Seite 19

Aufrichtung – Der Irrglaube der Moderne

Aufrichtung – Der Irrglaube der Moderne

LEHRE VOM GRALSWEG – Aus dem Kapitel: „Wege und Irrwege der Aufrichtung – Teil 4“

Die moderne Reiterei, die sich gerne den Anstrich der „Klassik“ und der „Unumstößlichkeit“ ihrer Lehre gibt, sich dabei auf die D.V.E 12 von 1912 bzw. die HDv 12 von 1937 bezieht – was zumindest nicht ganz schlecht wäre – basiert letztendlich bei, näherer Betrachtung vermehrt auf der Neo-Naturreiterei eines Frederico Caprilli.  

Diese moderne Reiterei nun sitzt dem irrigen Glauben auf, dass man ein Pferd, nur von HINTEN nach VORNE arbeiten müsse, damit es sich vorne RELATIV, wie man diese Form der Aufrichtung nennt, aufrichten würde.

Die relative Aufrichtung (s.d.), deren äußeres Merkmal ein Höhertragen von Hals und Kopf infolge Senkung der Hinterhand ist, …[1]

Diese Aussage von Waldemar Seunig ist nur zum Teil korrekt. Der Gedanke, dass das alleinige Senken der Hinterhand die Vorhand anheben und eben damit diese RELATIVE AUFRICHTUNG erreichen würde, ist nur dann möglich, wenn man auf ein Vorwärts der Pferde und eine übermäßige Trittlänge der Hinterhand verzichtet und wie bei den akademischen Meistern (Pluvinel, de la Guérinière …), die Bewegungen in den Grundgangarten (Schritt, Trab, Galopp) ausschließlich auf die mit stark gesenkter Hinterhand ausgeführten Schulformen dieser Gangarten beschränkt.

Allerdings verkörperte Waldemar Seunig, auch reiterlich-intellektuell, bereits verstärkt eine Reiterei (anglomane[2] (Natur)Reiterei), welche auch schon zu seiner Zeit meilenweit von jener der alten Akademiker und der preußischen Kavallerie zu Zeiten Friedrichs des Großen und seines Kavallerie-Generals von Seydlitz-Kurzbach sowie deren genialen Stallmeistern entfernt war.

Diese Entwicklung hatten im Wesentlichen zwei Gründe.

Zum einen, machte eine Verbesserung der Waffentechnologie (größere Schussreichweiten bei den Kanonen und Repetierbarkeit bei den Handfeuerwaffen), aber auch eine Veränderung der Infanterie-Taktik (von der Linienformation vermehrt zum Karree[3]) neue Strategien und Einsatzspektren für die Kavallerie notwendig. Den Pferden wurde ein stärkeres VORWÄRTS abverlangt und der Galopp wurde zur Hauptgangart.

„Die dritte Anforderung, die höchstmögliche Schnelligkeit, findet sich in den von uns zu reitenden Tempos begründet, wie sie durch das Reglement vorgeschrieben sind. Wenn die frühere Normal-Attacke 200 bis 250 Schritt[4] im Galopp vorschrieb, so hatte dies in dem damaligen Infanterie-Gewehr seinen Grund; bei den jetzigen weittragenden Präzisions-Waffen kommen wir jedoch auf 800 bis 1000 Schritt in eine derartige Feuer-Sphäre, welche von uns den langen allongirten[5] Galopp verlangt, Wenn wir nicht physisch und moralisch auf das Aeußerste geschwächt an den Feind kommen wollen, wo von das Mißlingen der Attacke die unbedingte Folge ist“[6].

Zum anderen verbreitete sich die anglomane Reiterei, welche weniger auf eine gymnastizierende Ausbildung der Pferde Wert legte und mehr dem naturreiterlichen Credo folgte: „das Gelände wird es schon richten“, wie eine Seuche – ab Mitte des 19. Jahrhunderts verstärkter – auf dem Kontinent und machte auch vor der Kavallerie nicht halt.

Das Ziel jeder Ausbildung ist, Pferd und Reiter zum Ritt querfeldein zu befähigen. Jagdspringen auf Turnierplätzen sind Vorbereitungen zum Querfeldeinritt. Niemals kann ein Turnierplatz so viel mannigfaltige Natürlichkeit bieten wie das freie Gelände. Für den ausgebildeten Reiter wird es kaum unüberwindliche Hindernisse geben, wenn er sich selbst und sein Pferd genügend geschult hat. Das Ueberwinden steilster Kletterpartien auf- und abwärts, breiter Gräben mit sumpfigen Rändern, selbst das Springen von Drahtzäunen kann durch Ausbildung erreicht werden.[7]

Wie man es den Worten des Freiherrn von Langen entnehmen kann, stellt diese (anglomane) Reiterei stärker den schneidig-sportlichen Aspekt (Jagdreiten, Springreiten, Rennreiten) in den Vordergrund und hat nichts am  Hut mit feiner Reitkunst oder Kavallerietaktiken, die umfangreich und fein ausgebildete Pferde erforderlich machten. Auch die Gesundheit der Pferde spielte und spielt in dieser modernen Reiterei nur eine sehr untergeordnete Rolle.

Diese neuzeitliche Gedankenkombination von Wissensfetzen: Beugung der Hinterhand (historische Form das Pferd vorne [relativ] aufzurichten) bei gleichzeitig stärkerem Vorwärts (moderne Anforderung an die Kavallerie), welche u.a. auch Waldemar Seunig sichtbar unreflektiert zusammensetzte, führt zu einer physikalische Unmöglichkeit, welche aber munter ignoriert wird, um den Traum einer RELATIVEN AUFRICHTUNG träumen zu können.

Das stärkere Vorwärts macht eine tiefe, gleichmäßige Durchbeugung der Hinterhand – Voraussetzung für eine RELATIVE Anhebung der Vorhand – völlig unmöglich und führt beim verzweifelten Versuch solche dennoch zu erreichen, zu gesundheitsschädlichen Methoden und dadurch bedingt vermehrtem Pferdeverschleiß!

Statt einer gleichmäßigen und deutlichen Durchbeugung der Hinterhand, mit der man bei den alten akademischen Meistern ein Pferd relativ aufrichten konnte, welche aber bei vermehrtem Vorwärts nicht möglich ist, versuchte man stattdessen nun die Hinterhand der Pferde immer weiter und weiter vortreten zu lassen.

Während die alten preußischen Stallmeister das „Gleichgewicht“ der Pferde darin erreicht sahen, dass die Hinterhand lediglich in den Hufabdruck der Vorhand tritt – dies aber auch nur dann, wenn die RÜCKENLINIE[8] des Pferdes bereits durch korrektes Aufrichten der Vorhand und leichter Senkung der Hinterhand (Arbeit von VORNE nach HINTEN und Lösen von Spezialaufgaben), in die Waagerechte gebracht werden konnte, sprach wiederum Waldemar Seunig davon, dass das Hinterbein der Pferde bis zu 1 ¼ Tritte[9] (!) über den Hufabdruck des Vorderbeines vortreten sollte.

Dies bewirkt zwar eine Beugung der Hanken[10], da sich bei diesem Vortritt des Hangbeins[11] das Knie soweit anhebt, dass der Hüftgelenkswinkel spitz wird. Allerdings werden dabei die unteren, schwächeren Gelenke (Sprung- und Fesselgelenke) gegen ihre Beugerichtung gestreckt, was Überlastungen dieser Strukturen vorprogrammiert. Physikalisch ist dieser Hebel nicht in der Lage, das Pferd vorne (relativ) anzuheben! Diese Pferde werden stattdessen – gesundheitsschädlich – hinten tiefer gelegt. Vorne bleibt das Pferd aber „auf der Vorhand“.

Hätte Seunig den Steinbrecht, auf den er sich oft bezieht, auch wirklich intensiv gelesen, wäre ihm der  Passus aufgefallen, in dem Steinbrecht davon spricht, dass, je weiter ein Pferd mit der Hinterhand vortritt, es umso vermehrter auf die Vorhand kommt![12]

Hinzu kommt noch, dass das moderne Vorwärts-Abwärtsreiten (auch in Dehnungshaltung) den Rumpfträger „ausleiert“ und Muskelgruppen fördert, welche bei korrekter Aufrichtung eigentlich „zurückgebaut“ werden müssten. Schmerzen in der Oberhals- der Nackenmuskulatur und dem Ober-Arm-Kopfmuskel sind vorprogrammiert.

Ein echtes AUFRICHTEN, bei dem der Buggelenkswinkel stumpf wird, sich also der Querarm (Oberarm) muskulär „konserviert“ vorne anhebt, das Buggelenk auf Höhe des Hüftgelenkes gebracht wird und die Winkel von Bug- und Hüftgelenk nahezu gleichwinkelig werden, so dass diese sich die Kräfte balancierter „zuwerfen“ können, kann es über die Methoden der modernen Reiterei NICHT geben!

Die heutigen Pferde, dies kann man auch in den höchsten Klassen der Dressur deutlich erkennen, kommen in ihrer „Aufrichtung“ so gut wie nie über die NATÜRLICHE HALTUNG und eine vorwärts-abwärts geneigte Rückenlinie hinaus.

Für die alten preußischen Stallmeister war diese Haltung, die das NATÜRLICHE PFERD, noch ungeritten, beim zwanglosen Bewegen von A nach B (und ohne die Nase durch einen Reiter – wie es heute geschieht – an die Senkrechte gezwungen zu bekommen), die von ihnen sogenannte und beschriebene TIEFE aus der heraus sie dann erst die Pferde aufzurichten begannen.

Leider meinte manch neuzeitlicher und heute hochgeschätzter „Meister“, in einem Irrglauben, die TIEFE wäre erst dann erreicht, wenn die Pferde mit der Nase am Boden schnüffeln würden – wie Jagdhunde oder Trüffelschweine. Aus dieser trainingstechnisch fragwürdigen und das Pferd demütigenden Haltung entwickelte sich die Vorwärts-Abwärts-Reiterei, die es davor zu keiner Zeit – und dies aus gutem Grunde – gegeben hat und die von hervorragenden Kavalleristen wie dem Generalmajor Carl Johann von Schmidt (1817 – 1875), auf das Allerschärfste verurteilt worden wären, da der Verlust an Pferden in der Kavallerie (schon in der Alltagsarbeit) durch eine solche Form der „Reiterei“ erheblich gewesen wäre!

Schon das zu seiner Zeit – und ohne Vorwärts-Abwärts – immer mehr zunehmende Galopptraining unter Reduzierung der dressurmäßigen Gymnastizierung der Pferde, führte zu einem hohen Pferdeverschleiß, was ihn veranlassten 1874 einen Bericht an die Armeeführung zu schreiben, in dem er forderte zu den Grundsätzen und Regeln der altpreußischen Dressurmethoden zurückzukehren:

„Das die Pferde vornehmlich im Winter-Halbjahr, und sodann fortgesetzt während der Sommerübungen, nach den Grundsätzen und Regeln der altpreußischen Dressurmethoden[13] in die ihrem Gebäude angemessene, richtige Haltung, Aufrichtung, Beizäumung und Versammlung gesetzt worden sind, dieselben sich nicht schwer auf die Zügel legen und nicht fest in der Hand ihrer Reiter, sondern in allen Theilen weich und nachgiebig sind, und ihre Hinterhand gebogen[14] und untergeschoben worden ist, damit dieselbe im Stande ist, vermöge ihrer Elastizität und Spannkraft das Gewicht und die Stöße elastisch aufzunehmen, und dadurch die Vorderfüße zu schonen und zu erleichtern.[15]

Leider verstarb dieser General, dessen Worte weit über die Kavallerie hinaus Gewicht hatte, ein Jahr später, im Jahre 1875, so dass es für ihn keine Möglichkeiten mehr gab, diese Forderung durchzusetzen – sehr zum Leidwesen der Pferde!


Autor: Richard Vizethum | Der letzte Stallmeister | Schule der Hippologie


[1] Waldemar Seunig | „Von der Koppel bis zur Kapriole. Die Ausbildung des Reitpferdes“ | 4. Nachdruck der Ausgabe Berlin 1943 | Georg Olms Verlag AG – Berlin | 2015 | Seite 184

[2] ANGLOMANIE, bedeutet die übertriebene Nachahmung alles Englischen.

Dies darf zunächst einmal als ein Kompliment für die englische Lebensart angesehen werden. Bezogen auf die Reiterei wurde darunter die Leidenschaft der Engländer für das Jagd-, Spring-, und Rennreiten verstanden. Eine Leidenschaft, welche sich mehr und mehr über England und Kontinentaleuropa hinaus ausbreitete. In England und Irland führte dies zu einer Verbesserung der Pferdezucht (Englisches Vollblut …), welche die schlechte Ausbildung der Pferde durch unzureichend gebildete Reiter kompensieren sollte.

[3] Ein KARREE (von französisch Carré, „Quadrat“) war im Militärwesen vom 17. bis vermehrter ins 19. Jahrhundert hinein eine Gefechtsformation der Infanterie mit nach vier Seiten hin geschlossener Front zur Abwehr von Kavallerie. Das Karree bot einen wirkungsvollen Schutz gegen Kavallerieangriffe, da es keine ungeschützte Flanke aufweist.

[4] Schritt ist ein Längenmaß  und entspricht 75,325 cm (Alter preußischer Schritt). Die angegebenen 200 Schritt beispielsweise sind umgerechnet 150,65 Meter. Die genannten 800 Schritt entsprechen 602,6 Meter. Diese 800 Schritt musst nach neuen Richtlinien ein Pferde pro Minute im Galopp zurücklegen (entspricht 36,2 Km/h). Ursprüngliche waren dies 500 Schritt (376,63 Meter oder 22,6 Km/h).

[5] Allongirt = gestreckt (z.B. starker Galopp, Carriere …)

[6] Generalmajor Carl von Schmidt |“Instruktionen des Generalmajors Carl von Schmidt, betreffend die Erziehung, Ausbildung, Verwendung und Führung der Reiterei“ | 1876 geordnet und in wortgetreuer Widdergabe der Originalien zusammengestellt durch von Bollard-Bockelberg | Verlag Ernst Siegfried Mittler und Sohn | Seite 3

[7] Carl-Friedrich Freiherr von Langen | „Reiten über Hindernisse“ | 1931 | Nachdruck Olms-Verlag 1996 | Seite 36

[8] RÜCKENLINIE: Es werden hier nur die Wirbelkörper der Wirbelsäule ohne obere Dornfortsätze betrachtet.

[9] Quelle wird nachgereicht

[10] Hanken nach der Lehre vom Gralsweg: Hüftgelenkswinkel (Kreuzbein – Hüftgelenk – Kniegelenk. Das Sprunggelenk wird nicht dazugezählt (dies führt zu fehlerhaften Methoden bei der Ausbildung der Hankenbeugung.

[11] Vorschwingendes Hinterbein

[12] Quelle wird nachgereicht

[13] General von Schmidt spricht sich hier für die altpreußischen Dressurmethoden von vor 1806 und im Grunde noch etwa bis 1848 aus.

[14] Der Begriff „Biegen“ bedeutet: das Biegen in den Gelenken, Genick, Rücken und Hinterhand und geringgradig das seitliche Biegen, welches man neuzeitlich diese Begriff zuschreibt und damit den ursprünglichen Begriffsinhalt konterkariert.

[15] Kaehler | „Die preußische Reiterei von 1806 bis 1876 in ihrer inneren Entwicklung“ | 1879 | Verlag Ernst Siegfried Mittler und Sohn | Nachdruck Europäischer Geschichtsverlag 2015 | Seite 330f

Aufrichtung – Die Schnelldresseure

LEHRE VOM GRALSWEG – Aus dem Kapitel: „Wege und Irrwege der Aufrichtung – Teil 3“

In allen Zeiten gab es Reiter, welche die Pferde in die Formen der HOHEN SCHULE (hohe Aufrichtung – tiefe Beugung) bringen wollten, allerdings nicht bereit waren, sich mit dem langwierigen Aufbauprozess von Schulpferden auseinanderzusetzen. Sie glaubten in kurzer Zeit die notwenige Form der Pferde herzustellen, wozu man in der akademischen Reiterei Jahre brauchte.

Nach Prinzipien älterer Zeit glaubte man die Gleichgewichtstellung dadurch herbeizuführen, daß man zuvörderst die Nase des Pferdes hoch heraufhob und mit beinahe waagerechter Kopfstellung mit dem Oberhauptbein den Hals hoch herauf- und zurückarbeitete; doch vieljährige Erfahrungen stellten dieses Verfahren nicht allein als weniger zweckmäßig, sondern als nachtheilig heraus, denn, ungeachtet die Nase des Pferdes höher kam, so blieb die Körperlast doch vorhängend, die Hinterfüße traten nicht nach, sie steiften sich, die Vorderbeine wurden struppirt [überlastet – Anm.d.Red.], Hirschhälse sah man hervordrücken ([dort] Taf.IV Fig. 3.), welche wieder Veranlassung zu unsteter Kopfstellung gaben. [1]

Diese von E.F. Seidler beschriebene und zu Recht kritisierte, unnatürliche  Vorgehensweise, deren Anwendung sich nicht nur auf die „ältere Zeit“ beschränkte, wandten die Verfechter dieser „Methode“ bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt der „Ausbildung“ an.

Mit der „Trense bäumt(e)“ man und um die dadurch hervorgerufene nahezu waagerechte Kopfstellung des jungen Pferdes schließlich zu korrigieren, wurde mit der „Kandare (ge)zäumt“. Dieses „Aufrichten“ von Hals und Kopf führte zu einem Abknicken im Übergang zwischen der Hals- und Brustwirbelsäule, verursachte Schmerzen und führt, daraus resultierend zu Abwehrreaktionen beim Pferd. Die Konsequenz dieses Vorgehens waren körperlich und seelisch stark angefasste Pferde, welche sich bei jeder Gelegenheit aus dieser Zwangshaltung, „keinem Zügel mehr gehorchend“,  herausschnellten.

Das Herantreiben der Hinterhand wiederum überlastete die zu Beginn einer Ausbildung noch schwache Struktur der Hinterhand, was ebenfalls zum Widerstand der Pferde beitrug.

Zu diesen Schnelldresseuren gehörte in seiner Entwicklung sehr lange auch der Franzose Francois Baucher[2], den man in seiner Zeit und danach gerne irgendwo zwischen „Genie“ und „Scharlatan“ einordnete. Die preußische Kavallerie stellte 1842 ein komplettes Regiment ab, um nach Bauchers, damals 1. Manier[3] zu arbeiten. Das Ergebnis war mehr als ernüchternd:

Es war nun im Jahre 1842, wo das Schwester-Regiment[4] unserer Brigade den Auftrag erhielt, nach dem damals die Reiterwelt in Unruhe versetzenden neuen ‚System‘ Baucher die Pferde auszubilden, welches 1843 nach dem grossen Kavalleriemanöver unter Wrangel bei Berlin so eklatante Misserfolge zeigte, dass diese unbedingte Beizäumungsmethode[5] für ewige Zeiten untersagt wurde, denn die Pferde schnellten sich aus derselben heraus, keinem Zügel mehr gehorchend.[6]

Diese Erkenntnis führte bei der preußischen Kavallerie zu einer nachhaltigen Ablehnung der Methode Baucher. Dies aber hatte rein pragmatische und keine nationalistischen Gründe, wie häufig behauptet wurde.

Die Baucherschen Pferde sind vom Standpunkte der Kriegsbrauchbarkeit aus betrachtet gänzlich roh, und viel unbrauchbarer als die Pferde der Anglomanen.[7]

Aber nicht nur der Ehrgeiz so manches „Reitmeisters“ führte zu derartigen Aufrichtungsexzessen.

1806 verlor Preußen im „Vierten Koalitionskrieg“ insbesondere in der Doppelschlacht von Jena und Auerstedt gegen Napoleon, was den militärischen und politischen Zusammenbruch Preußens bedeutete und in dessen Folge, die preußische Kavallerie alle ihre gutgerittenen Pferde an die Franzosen verlor.

Mit dem Frieden (1814/15) hatten die Preußen also keine Pferde mehr im Land und sie waren gezwungen ihre Remonten „aus ukrainischen, bessarabischen und moldauischen Steppenwildlingen“[8] zu rekrutieren. Pferde, die „über keine Brücke gingen, und in den Ställen alles zerrissen und zerschlugen“[9] Diese Pferde waren so unberechenbar, dass sie vom Nebenstand aus gefüttert und mit Striegeln an der Stange geputzt werden mussten. Das Reiten auf diesen Tieren war durchaus lebensgefährlich, was ein Satz von Waldemar Seunig drastisch illustriert:

Viele Opfer blieben damals auf den Schlachtfeldern der Reitplätze, nicht nur Wildlinge, die absolut nicht einsehen wollten, wozu sie eigentlich auf der Welt seien, auch Reiter und Wartungspersonal[10]

1825 und 1826 gelangte eine, von Generalmajor Friedrich Georg von Sohr verfasste, 4-teilige REITINSTRUKTION[11], zur Ausgabe an die Truppe. Diese blieb mehr als ein halbes Jahrhundert hindurch die bindende Regel für die gesamte Reitausbildung der preußischen und der deutschen Kavallerie.

In dieser Instruktion  trug von Sohr der „Qualität“ dieser Pferde und der Schwierigkeit im Umgang mit diesen, insofern Rechnung, als er darin die Anleitung zu einem „beschleunigten Verfahren gewaltsamer Bändigung“ gab, zu dem es auch gehörte, den Hals der Pferde hoch und senkrecht zurückzurichten, wobei die Köpfe in einem Winkel von 45 Grad zum Hals stehen sollten.

Was sowohl dieser Reitinstruktion aber insbesondere den „Schnelldresseuren“ damit leider gelang, war die nachhaltige Etablierung des Bildes eines Pferdes, mit senkrecht gestelltem Hals, hohem, fast waagerecht gehaltenem Kopf, herausgedrücktem Unterhals, ausstehenden Hinterbeinen, und den damit entstehenden Eindrucks eines weggedrückten Rückens.

Eines Bildes, welches dem des „Sternenguckers“ entspricht, einer Haltung, die manch unzureichend vorbereitete Pferde aus Angst oder Schwäche  beim ersten Kontakt mit dem Reitergewicht nach einem Anspannen, durch krampfhaftes Abspannen einnehmen.

Dieses Aufrichten, welches in keiner Weise etwas mit Reitkunst gemein hat, und das dadurch entstandene Bild in den Köpfen der Reiter, wird in der Neuzeit oft mit dem Begriff ABSOLUTE AUFRICHTUNG völlig fehletikettiert und als Gegenposition und damit Legitimation für VORWÄRTS-ABWÄRTS in vielen Werken von Ausbildern, Therapeuten und Tierärzten dargestellt und propagiert.

Dieses unschöne Bild, eines durch FALSCHE AUFRICHTUNG traktierten Pferdes, hat leider auch dazu geführt, dass alle Formen korrekten, sukzessiven Aufrichtens (wie beispielsweise durch die genialen preußischen Stallmeistern durchgeführt), weitgehend unbeachtet blieben und dadurch der Vergessenheit anheimgestellt wurden.

Womit ein sehr elementarer Teil der so notwendigen UMFORMUNG des Pferdes kaum mehr (lediglich nach meiner LEHRE VOM GRALSWEG) in seiner ursprünglichen pferdeschonenden und sehr wissenschaftlich-überlegten Form stattfindet. Übergeht man aber diesen wichtigen Umformungsschritt, dann funktionieren die Logiken alter Reitanweisungen nicht mehr und man öffnet weiteren Fehlinterpretationen Tür und Tor.

Die gesamte SKALA DER AUSBILDUNG, deren Basis man in völliger Selbstüberschätzung als „unumstößlich“ und „klassisch“ bezeichnet, ist gespickt von solchen Fehlinterpretationen und den zwangsweise darauf folgenden fehlerhaften Methoden.


Autor: Richard Vizethum | Der letzte Stallmeister | Schule der Hippologie


[1] Ernst Friedrich Seidler | „Die Dressur diffiziler Pferde“ | 2. Nachdruck der Ausgabe Berlin 1846 | Olms-Verlag 1990 | Seite 96

[2] Francois Baucher, mit dem ich mich sehr intensiv beschäftig habe, wird von mir, nach all meinem Wissen über seine Vorgehensweise, als ein Scharlatan eingestuft, wenn auch mit gewissen Talenten. Das was er als neu bezeichnet hat, war meist schon vor seiner Zeit bekannt und jenes, was tatsächlich neu war brauchte keine Pferd (eher Zirkus). Der Hype um Baucher war und ist nur zu verstehen im Kontext einer immer stärker aufkommenden anglomanen Reiterei, die sich mehr und mehr auch in die Militärreiterei (mit d’Aure, einen Konkurrenten und Widersacher von Baucher, in die Cadre Noir) einschlich und in der heutigen Zeit die gesamte Reiterei prägt.

[3] Nach meinem Dafürhalten ist eine Einteilung der Baucherchen Entwicklung in 1. und 2. Manier nicht zulässig, da Baucher über die Auflagen seines Werkes hinweg, sich ständig weiterentwickelte. Die Zäsur, nach dem „Kronleuchter-Unfall“, die als Übergang von einer 1. Manier zu einer 2. Manier von vielen Autoren genannt wird, gab es im Grunde nicht!

[4] Es handelte sich um das 7. Kürassier-Regiment (siehe auch Seunig) in Quedlinburg

[5] Die Begrifflichkeit „unbedingte Beizäumungsmethode“ könnte von Otto von Monteton von Plinzner unbewusst übernommen worden sein, welcher zu dieser Zeit (1899) aktiv war – auch mit Veröffentlichungen.

[6] Otto Digeon von Monteton | „Über stätische Pferde“ |  Verlag von Schickhardt & Ebner (Konrad Wittwer) 1899 | 7. Heft | Teil eines Nachdrucks Olms-Verlag 1992 | Seite 19

[7] Otto Digeon von Monteton | „Über die Reitkunst“ | 1877 | Nachdruck Olms-Verlag 1995 | Kommentar auf Seite 177

[8] Waldemar Seunig | „Von der Koppel bis zur Kapriole“ | 4. Nachdruck der Ausgabe von 1943 | Verlag Olms | Seite 49

[9] von Monteton: Über die Reitkunst (1877)

[10] Waldemar Seunig | „Von der Koppel bis zur Kapriole“ | 4. Nachdruck der Ausgabe von 1943 | Verlag Olms | Seite 49

[11] Friedrich Georg von Sohr | „Instruktion zum Reit-Unterricht für die königlich preußische Kavallerie | 1825/1826

Selbstbetrug Sperrriemen

Selbstbetrug Sperrriemen

Blättert man durch diverse Kataloge von Reitsportausstattern, dann kann man eine bedauerlichen Fakt erkennen: Kaum ein Kopfstück für die Bereiche Dressur, Springen, Vielseitigkeit … ist ohne Sperrriemen zu bekommen. Ja selbst im Galopprennsport halten Sperrriemen inzwischen Einzug.

Die Reitsportausstatter demonstrieren damit neben völliger Ignoranz, nur ihr Bestreben eine große Nachfrage zu bedienen. Eine Nachfrage, die sie inzwischen durch ihr breites Angebot – bei dem das Wohlbefinden des Pferdes keine Rolle zu spielen scheint – gezielt steuern.

Auch die Reiter und Ausbilder, die diesen Riemen nutzen und damit dem Pferd das Maul zuschnüren oder diesen bei „Problemen“ gerne empfehlen, lassen dadurch nur erkennen, dass ihnen schlichtweg Wissen fehlt. Wissen über die Physik und über die Psyche des Pferdes.

Wenn das Pferd jedoch versucht das Maul aufzusperren, so hat das irgendeinen Grund, den man finden und abstellen sollte – einfaches Zusperren des Maules ist Selbstbetrug

(Paalman Anthony – Springreiten – 1989)

Genau diese Worte des bekannten Springreiters und Parcours-Bauers Anthony Paalman, sollten allen Nutzern des Sperrriemens zu denken geben.

Pikant dabei ist, dass es auch ein experimentierfreudiger SPRINGREITER war, der den Pull(er)riemen des Worcester-Reithalfters missbrauchte, um dem Pferd das Maul zuzubinden, sehr zur Freude der damaligen Reiterschaft. Vermutlich hoffte er dabei, seine reiterliche Unfähigkeit zu kaschieren, denn im Gegensatz zu Paalman hatte dieser Mensch nichts vom Reiten verstanden.

Warum nun aber kommt jemand auf die Idee, dem Pferd das Maul zuzubinden?

Der Erfinder des Hannoverschen Sperrhalfters (wahrscheinlich der Herr von Oeynhausen) wollte dadurch möglicherweise  verhindern, dass die reiterlich wenig begabten Eleven der Kavallerieschule in Hannover den Pferden im Maul herumfuhrwerkten und diesen so Schaden zufügten. Ein durchaus, für die damalige Zeit, nachvollziehbarer Grund.

Aber warum dieses Zubinden des Pferdemauls durch die Nutzung des Sperrriemens noch steigern?

Na ja, sieht halt nicht schön aus, wenn das Pferd das Maul aufreißt, maulig ist, die Zunge ständig verdreht oder diese dabei sogar über das Gebiss bringt.

Dagegen „hilft“ Zubinden eben!

Die genannten Verhaltensmuster der Pferde sind aber keineswegs von Natur gegeben und dem Pferd anzulasten. Über 95% der Ursachen kann man getrost beim Reiter und dessen harter und unruhiger Hand, aufgrund eines wenig losgelassenen Sitzes und falscher Lehren suchen. Dies allerdings mag man sich nicht allzu gerne eingestehen. Lieber kaschiert man optisch.

So eine FALSCHE LEHRE und neuzeitlicher Unsinn ist die propagierte und bis in extremen Bewegungen von Reitern aller Klassen demonstrierte MITGEHENDE HAND.

Einige Pferde ertragen diese Tortur, indem sie mit der Zunge das Mundstück gegen den Gaumen drücken und so den ständigen Bewegungen des Mundstücks entgegenwirken können.

Viele andere Pferde aber drücken dies durch eine (ungute) Verstärkung der Maultätigkeit (z.B. „Kampfkauen“ …) als ÜBERSPRUNGSREAKTION aus. Manch pferdefreundliches menschliches Wesen sieht darin die Ablehnung der Trense! Mitnichten! ES IST DIE ABLEHNUNG EINER UNRUHIGEN REITERHAND!

Nebenbei bemerkt: Wer von ANLEHNUNG spricht sollte NIEMALS eine mitgehende Hand haben! Denn beides widerspricht sich!

Die Hand des Reiters sollte (bis auf kleine Korrekturen) stets STILLSTEHEN, sie sollte WEICH (runde Hand) und SCHNELL (bei Korrekturen) sein.

Die Reiterhand ist nicht zum (direkten) Lenken des Pferdes da!

Durch den Sperrriemen (für den es KEINE korrekte Verschnallung gibt!) wird auch die Aktivität des ZUNGENBEINS stark behindert. Das ist übel!

Noch übler aber ist es, dass der Sperrriemen verhindert, dass das Pferd sich selbst – von leichteren Blockaden des Zungenbeins – durch Verdrehen der Zunge befreien kann.

Der SPERRRIEMEN IST URSACHE UND LÖSUNGSVERHINDERER gleichzeitig.

Bitte ÜBERDENKT DIE NUTZUNG DES SPERRRIEMENS! Glaubt nicht an Ausbilder oder wohlmeinende „Bandenprofis“, die diesen bei einem „Problem“ empfehlen, denn es gibt IMMER EINE BESSERE UND PFERDEFREUNDLICHERE LÖSUNG! Korrektes, pferdefreundliches Reiten kennt keinen Sperrriemen!

Text wurde bereits vor ein paar Jahren vom Autor veröffentlicht ist aber aktueller den je!


Autor: Richard Vizethum | der letzte Stallmeister | Schule der Hippologie


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Ein Konter dem Konterschulterherein

Auszug aus dem Arbeitspapier der LEHRE VOM GRALSWEG

X.1. | Grundsätzliches

X.1.1. | Der Begriff KONTERSCHULTERHEREIN ist im Grunde irreführend, da die Form, in der das Pferd geritten wird, dem eines SCHULTER(N)HEREINS[1] entspricht, vor allem dann, wenn es als KONTERSCHULTERHEREIN GEGEN EINE BEGRENZUNG [X.2.2. ] auf gerader Linie ausgeführt wird. Lediglich das KONTERSCHULTERHEREIN AUF GEBOGENER LINIE (Volte, Zirkel) [X.2.3. ] unterscheidet sich von einem normalen Schulter(n)herein dergestalt, dass die Hinterhand einen kleineren Kreis als die Vorhand beschreiten muss und diese dadurch stärker in die Beugung gezwungen werden könnte[2]. Wie beim Schulter(n)herein kreuzen (Hinterhand) bzw. schränken (Vorhand) auch beim Konterschulterherein beide Beinpaare.

X.1.2. | Das KONTERSCHULTERHEREIN in seinen beiden Varianten gehört nach meiner LEHRE VOM GRALSWEG zu den BEWEGUNGEN IN GEBOGENER FORM DES PFERDES (siehe Bild).

Bei dieser Form ist die Körperlängsachse des Pferdes (Schweifrübe bis Widerrist) gerade[3], die Schultern werden leicht schräg von der Körperlängsachse nach innen[4] gestellt (KP1). Der Hals kommt gerade und zu den Schultern parallel aus diesen heraus. Im Genick-Ganaschenbereich (KP2) wird das Pferd ebenfalls leicht nach innen gestellt, dabei sollte die Nase nicht über eine gedachte Verlängerungslinie der Schultern nach vorne hinausgehen[5].

X.1.3. | Die Regeln der Hilfengebung beim KONTERSCHULTERHEREIN entsprechen vollständig denen des SCHULTER(N)HEREIN.

X.1.4. | Um das KONTERSCHULTERHEREIN grundsätzlich in Sinnhaftigkeit und Notwendigkeit beurteilen zu können, ist vorab ein wichtige Fragestellung zu klären, die da lautet: Muss ein Pferd den Bewegungsablauf des SCHULTER(N)HEREIN überhaupt erlernen? Häufig wird dieses „Erlernen“ als (Teil)begründung für die Anwendung des Konterschulterherein angeführt. Die Antwort nach der LEHRE VOM GRALSWEG ist ein kategorisches NEIN!

X.1.4.1. | Das SCHULTER(N)HEREIN ist eine technische Bewegung, bei der das Pferd körperlich positioniert (BEWEGUNGEN IN GEBOGENER FORM DES PFERDES) und durch Reduzieren des Vorgriffs des äußeren Vorderbeins (HALBE PARADE) die Vorwärtsbewegung in die nötige Seitwärtsbewegung gebracht werden kann. Dies ist alleine über den korrekten Sitz und die korrekte Hilfengebung nach meiner LEHRE VOM GRALSWEG möglich und entbindet damit das Pferd vom „Erlernen“ des Schulter(n)herein. Lediglich bei Pferden die am Beginn ihrer Ausbildung stehen oder die verritten wurden und korrigiert werden müssen, mögen die Bewegungen während der ersten Ausführungen noch etwas ungelenkig ausfallen[6], dennoch werden auch diese Pferde zu einem mehr oder weniger gutem Schulter(n)herein geformt und geführt werden können.

X.1.4.2. | Nicht das Beibringen des Schulter(n)herein, was damit als Begründung für das KONTERSCHULTERHEREIN entfallen kann, ist deshalb die Aufgabe des Reiters, sondern die qualitative Verbesserung des Schulter(n)herein, hin zur maximal möglichen gymnastischen Wirkung bei geringster Belästigung des Pferdes!

X.2. | Varianten des Konterschulterherein

X.2.1. | Allgemein

X.2.1.1. | Grundsätzlich kann man von zwei Arten des KONTERSCHULTERHEREIN sprechen. Diese unterscheiden sich in ihrer Ausführung und Wirksamkeit durchaus deutlich. Diese beiden Varianten sind: KONTERSCHULTERHEREIN GEGEN EINE BEGRENZUNG (Bande) und KONTERSCHULTERHEREIN AUF GEBOGENER LINIE (Volte, Zirkel). 

X.2.2. | Gegen eine Begrenzung

Bei der 1. VARIANTE, dem KONTERSCHULTERHEREIN GEGEN EINE BEGRENZUNG, welche sich großer Beliebtheit erfreut, wird das Pferd mit der Nase zu einer Begrenzung, i.d.R. eine feste Bande, gestellt und im Schulter(n)herein gegen diese geritten.

X.2.2.1. | Die Intensionen, die zum KONTERSCHULTERHEREIN GEGEN EINE BEGRENZUNG führen, sind zweierlei. Einerseits soll das Pferd auf diesem Wege das Schulter(n)herein erlernen, was es nach meiner LEHRE VOM GRALSWEG überhaupt nicht nötig hat [X.1.4.]  und andererseits erwartet man, durch das gegen die Begrenzung arbeiten, ein stärkeres Untersetzen und Beugen der Hinterhand.

X.2.2.2. | Dem Reiter wird das Arbeiten im Schulter(n)herein beim KONTERSCHULTERHEREIN GEGEN EINE BEGRENZUNG dadurch erleichtert (Vorteil), dass durch die Begrenzung dem Pferd die HAUPTBEWEGUNGSRICHTUNG (Vorwärts) verschlossen bleibt und der Reiter so in der Lage ist, das Pferd leichter in eine Seitwärtsbewegung zu nötigen. Ich schreibe hier ganz bewusst von Nötigung, denn nichts anderes ist es!

X.2.2.3. | Grundsätzlich sei angemerkt, dass es sich beim KONTERSCHULTERHEREIN GEGEN EINE BEGRENZUNG lediglich um ein ganz normales Schulter(n)herein auf gerader Linie handelt, welches aber durch die Begrenzung vor der Nase des Pferdes zu einer Vielzahl von Nachteilen im Vergleich zur normalen Variante führt, welche manche der, oft zur Begründung dieser Variante des Konterschulterherein angeführten Vorteile, in Gänze aufwiegen.

X.2.2.3.1. | Das Pferd wird beim KONTERSCHULTERHEREIN GEGEN EINE BEGRENZUNG massiv in Zwang gesetzt – vorne die Begrenzung, hinten die Beine des Reiters. Dies führt dazu, je nach Fähigkeit des Reiters und damit abhängig von der Qualität der Ausführung, dass die Pferde, mehr oder weniger stark über die äußere Schulter und/oder Kruppe in die Seitwärtsbewegung fallen. Dadurch entstehen starke ungleiche Belastungen, verbunden mit der Gefahr struktureller Schädigungen (Gelenke, Sehnen, Bänder, Muskeln …), vor allem dann, wenn das Pferd dabei zu schnellen Bewegungen genötigt wird.

X.2.2.3.2. | Das Arbeiten im KONTERSCHULTERHEREIN GEGEN EINE BEGRENZUNG versetzt das Pferd in einem sehr hohen Maße unter starken körperlichen Stress, dieser ist verbunden mit einem hohen Energieverbrauch, was wiederum einen schnelleren Leistungsabfall zur Folge hat.

X.2.2.3.3. | Die genannten Stressoren beim KONTERSCHULTERHEREIN GEGEN EINE BEGRENZUNG bewirken zu den rein körperlichen Auswirkungen, des Weiteren noch ein deutliches Abfallen der Lernkurve, was die Ausbildungszeit verlängert (Ineffizienz).

X.2.2.4. | Da das Pferd grundsätzlich das SCHULTER(N)HEREIN nicht erlernen muss, sondern dieses vom Sitz und der korrekten Hilfengebung des Reiters nach der LEHRE VOM GRALSWEG abhängig ist, gleichzeitig aber die körperlichen Stressfaktoren und die Gefahr struktureller Schädigungen beim Pferd hoch sind, kann das KONTERSCHULTERHEREIN GEGEN EINE BEGRENZUNG (insbesondere in erhöhtem Tempo) in keinster Weise empfohlen werden!

X.2.2.5. | HISTORISCHER ABRISS | De la Guérinière schrieb 1733 über das Arbeiten eines Pferdes gegen eine Begrenzung zum Zwecke diesem das Seitwärtsgehen zu lehren, folgende Worte:

Diejenigen, die den Kopf eines Pferdes an die Mauer stellen, um es zur Seite gehen zu lehren, verfallen in einen Fehler, dessen nachtheilige Folgen sich leicht zeigen lassen. Auf diese Art lernt es eher aus Gewohnheit, als auf die Hülfen der Hand und Schenkel, gehen, und wenn man es von der Mauer wegnimmt, und in der Mitte der Reitbahn zur Seite richten will, wo es keinen Gegenstand mehr hat, der ihm  alsdann zum Gesichtspunkte dient, so gehorcht es nur unvollkommen der Hand und dem Schenkel, welches denn doch die einzigen Wegweiser sind, deren man sich zur Führung eines Pferdes in allen seinen Gängen bedienen darf. Ein anderer Nachtheil, der aus dieser Schule entspringt, ist: daß das Pferd, anstatt den äussern Schenkel über den innern zu setzten, öfters denselben aus Furcht, entweder den auf der Erde stehenden Schenkel mit dem Eisen zu treten, oder aber mit dem Knie [Karbalgelenk – Anm.d.Red.]  in dem Zeitpunkt gegen die Mauer zu stoßen, wenn es den Schenkel hebt, und denselben über den andern zu setzten, vorwärts führt, darunter wegsetzt.[7]

Auch de la Guérinière ging wie alle (bekannten) Meister (siehe auch de la Broue im Folgenden) und Reiter nach ihm, von der Fehlannahme aus, dass man den Pferden das SCHULTER(N)HEREIN (respektive das Seitwärtsgehen) lernen müsse. Die Vorgehensweisen der LEHRE VOM GRALSWEG widerlegen diese Annahme. Lediglich der korrekte Sitz und die korrekte Hilfengebung nach meiner Lehre, reichen aus, das Pferd von Anfang an in einer Schulter(n)herein-Bewegung gehen zu lassen. Nur die Qualität der Ausführung wird mit fortschreitender Übung durch Verbesserung der Körperlichkeit beim Pferd zunehmen.

Klar weist de la Guérinière allerdings auf die Problematiken hin und ergänzt diese in seinem Werk auch noch mit Aussagen von de la Broue[8]:

Herr de la Broue ist dieser Meinung, wenn er den Rath giebt, daß man, um Pferde zum Schenkelweichen zu bringen, nur bei solchen von der Mauer Gebrauch machen müsse, die in der Hand liegen, oder hineinziehen. Weit entfernt aber, den Kopf so nahe an der Mauer zu stellen, sagt er, müsse man das Pferd zwei Schritte diesseits der Mauer halten, welches ohngefähr eine Entfernung von fünf Schuhen[9] [1,625 m – Anm.d.Red.] , von dem Kopf des Pferdes bis zur Mauer ausmacht.[10]

X.2.3. | Auf gebogener Linie

Die 2. VARIANTE, das KONTERSCHULTERHEREIN AUF GEBOGNER LINIE (Volte, Zirkel), bei dem das Pferd den offenen Raum vor sich hat und die Hinterhand einen kleineren Kreis als die Vorhand beschreiten muss, weißt – auch bei korrekter Ausführung[11] – gegenüber dem SCHULTER(N)HEREIN keinen zusätzlichen Nutzen auf, welcher nicht durch Nachteile für das Pferd erkauft werden müsste.

X.2.3.1. | Das KONTERSCHULTERHEREIN AUF GEBOGNER LINIE kann sowohl auf einem Zirkel, als auch auf einer Volte geritten werden. Wichtig dabei ist, dass die Hinterhand in einer guten Vorwärtsbewegung bleibt. Keinesfalls darf sie auf der Stelle „hüpfen“. Ist dies der Fall, dann ist die Volte zu klein angelegt und/oder die Zügeleinwirkungen (z.B. HALBE PARADEN) erfolgten zu hart.

X.2.3.2. | Durch das KONTERSCHULTERHEREIN AUF GEBOGENER LINIE kann ein stärkeres Kreuzen (Schränken) der Vorhand und damit ein vermehrtes Entbinden der Schultern gefördert werden. Wichtig dabei ist, wie generell bei BEWEGUNGEN IN GEBOGENER FORM DES PFERDES, das das äußere Vorderbein des Pferdes eine Vorwärts-Seitwärtsbewegung erhält und nicht seitlich kippt. Dies kann im Konterschulterherein auf gebogener Linie nur bei vier gleichen Hufabständen einigermaßen sicherzustellen werden.

X.2.3.3. | Beim KONTERSCHULTERHEREIN AUF GEBOGENER LINE beschreibt die Hinterhand einen kleineren Kreis als die Vorhand. Dadurch treten die Hinterbeine kürzer und das Pferd kippt vermehrt über die äußere Kruppe. Dies widerspricht dem grundsätzlichen Prinzip des Schulter(n)herein, nach dessen Definitionen durch das Einkreuzen des inneren Hinterbeins die äußere Schulter des Pferdes angehoben werden solle. Dieses Kippen über die äußere Kruppe lässt sich auch bei korrekter Form des Pferdes nach dem Prinzip der BEWEGUNGEN IN GEBOGENER FORM DES PFERDES nicht verhindern.

X.2.3.4. | Dies zusammengenommen macht auch das KONTERSCHULTERHEREIN AUF GEBOGENER LINE zu einem schwierigen Unterfangen und kann bei fehlerhafter (in der Masse der Fälle wahrscheinlicher) Ausführung, die Gesundheit des Pferdes durchaus stark beeinträchtigen. Der mögliche Nutzen steht dazu in keinem sinnvollen Verhältnis, so dass auch diese Variante des KONTERSCHULTERHEREIN nicht empfohlen werden kann[12]!

X.3. | Zusammenfassung

X.3.1. | KONTERSCHULTERHEREIN kann in zwei unterschiedlichen Varianten ausgeführt werden. Diese sind: KONTERSCHULTERHEREN GEGEN EINE BEGRENZUNG und KONTERSCHULTERHEREIN AUF GEBOGENER LINIE.

X.3.2. | Damit KONTERSCHULTERHEREIN Sinn macht, muss es zumindest dem SCHULTER(N)HEREIN in seinem Nutzen gleichwertig, in einzelnen Elementen (zum Zwecke der Korrektur) einen besonderen Nutzen bringen oder ein Lerneffekt für das Pferd gegeben sein.

X.3.3. | Bei keinen der beiden Varianten des KONTERSCHULTERHEREINS ist auch nur annähernd ein Nutzenvorteil gegenüber dem SCHULTER(N)HEREIN gegeben. Im Gegenteil, die Risikofaktoren für die Gesundheit des Pferdes überwiegen bei Weitem manch genannten, vermeintlichen Nutzens.

X.3.4. | Das Pferd muss ein korrektes SCHULTER(N)HEREIN nicht erlernen. Über den korrekten Sitz und der korrekten Hilfengebung nach meiner LEHRE VOM GRALSWEG kann jedes Pferd Schulter(n)herein gehen, wobei sich die Qualität der Ausführung durch stetes Üben mehr und mehr verbessert – bis hin zum maximal möglichen gymnastizierungstechnischen Effekt. Ein KONTERSCHULTERHEREIN zum Zwecke des Erlernens desselben ist nicht notwendig.

X.3.4. | RESÜMEÉ | Im Sinne der Ausbildungseffizienz und der geringstmöglichen Belästigung sowie potenzieller Gesundheitsschädigung des Pferdes kann nach meiner LEHRE VOM GRALSWEG keine der beiden Varianten empfohlen werden! Das Erlernen des korrekten Sitzes und konzentriertes, diszipliniertes Arbeiten im SCHULTER(N)HEREIN stellt für Reiter und Pferd die bedeutend sinnvollere und effizientere Vorgehensweise dar!

X.3.5. | SCHLUSSBEMERKUNG | Aus den aufgeführten Gründen wird KONTERSCHULTERHEREIN in der LEHRE VOM GRALSWEG nicht als SCHULE geführt, sondern lediglich der Vollständigkeit halber erwähnt.


Autor: Richard Vizethum | Schule der Hippologie | Auszug aus der LEHRE VOM GRALSWEG


[1] Das Schulter(n)herein im klassischen Sinne ist immer ein 4-spuriges Schulterherein entgegen der 3-spurigen Variante der FN/FEI, bei dem die Hinterhand keine Kreuzbewegung ausführt. In der „Richtlinie für Reiten und Fahren“ entspricht das sogenannte SCHENKELWEICHEN in etwa dem klassischen und weitaus sinnvolleren 4-Spur-Schulter(n)herein. Wobei, dies sei auch hier angemerkt, das FN-Schenkelweichen nicht dem klassischen Schenkelweichen entspricht, welcher in meiner LEHRE VOM GRALSWEG vermittelt wird.

[2] Je kleiner der gerittene Kreis, desto stärker könnte die Beugung der Hinterhand ausfallen. Ich betone hier bewusst „könnte“, denn es bedarf beim Pferd bereits ein hohes Maß an der Fähigkeit seine Hinterhand vorzusetzen und zu beugen (die bei den allermeisten Pferden so gut wie nicht gegeben ist). Auch muss die Hilfengebung des Reiters perfekt sein. Ist dies nicht sichergestellt, so ist die Gefahr der gesundheitlichen Schädigung des Pferdes relativ hoch.

[3] Die Körperlängsachse ist im Bereich der Wirbelkörper weitestgehend gerade. Lediglich durch die Rotation nach innen-unten, entsteht der Eindruck eines, auch in diesem Bereich gebogenen Pferdes.

[4] Innen wird immer definiert über die Seite des Pferdes, welche wir hohl stellen.

[5] Geht die Nase über diese Verlängerungslinie hinaus, wird das Gewicht des Kopfes, welches über die Linie hinausgeht, nicht mehr von den Vorderbeinen abgestützt und das Pferd neigt sich in diese Richtung. Um dies zu kompensieren wird es eine Ausgleichsbewegung nach Außen, über die äußere Schulter ausführen – d.h. über die äußere Schulter laufen.

[6] Das noch untrainierte oder schlecht ausgebildete Pferd kennt seine Hinterhand von Natur aus nicht und lernt sie erst durch Bewegungen, wie beispielsweise dem Schulter(n)herein kennen. Aus diesem Grund können zu Beginn der Arbeit am Schulter(n)herein die Bewegungen des Pferdes noch sehr ungelenkig ausfallen, was sich aber bei konsequenter, disziplinierter Arbeit schnell ändert.

[7] Francois Robichon de la Guérinière | „Reitkunst“ | dt. Übersetzung von J. Daniel Knöll 1817 |Verlag Olms | Seite 197

[8] Dieser Verweis auf Salomon de la Broue (1530 – 1610) lässt einen interessanten Rückschluss bezüglich des SCHULTER(N)HEREIN (auf gerader Linie) zu, dessen „Erfindung“ man de la Guérinière auf Basis der Vorarbeit durch William Cavendish, dem 1. Herzog von Newcastle (1592 – 1676) auf Volte, zuschreibt. Explizit wird in der deutschen Übersetzung bei der Arbeit von de la Broue gegen eine Begrenzung von SCHENKELWEICHEN gesprochen, tatsächlich aber dürfte es bereits ein KONTERSCHULTERHEREIN gewesen sein und dieses auf gerader Linie. Dies würde bedeuten, dass der Bewegungsablauf des Konterschulterherein und damit auch des Schulter(n)herein auf gerade Linie bereits lange vor de la Guérinière bekannt gewesen sein dürfte.

[9] Schuh = Fuß = Pariser Fuß = 0,325 m

[10] Francois Robichon de la Guérinière | „Reitkunst“ | dt. Übersetzung von J. Daniel Knöll 1817 |Verlag Olms | Seite 197f

[11] Schultern dürfen nicht fallen!

[12] Lediglich in KORREKTUR-Notwendigkeiten (Öffnen, Entbinden der Schultern des Pferdes) kann man das KONTERSCHULTERHEREIN AUF GEBOGENER LINIE in sehr kurzen Reprisen nutzen. Dabei ist bei der Ausführung ein besonderes Augenmerk auf vier gleiche Hufabstände zu richten.

Unterhals ist nicht gleich Unterhals

Spricht man beim Pferd von einem UNTERHALS, so hat man dabei immer einen muskulären Unterhals am Arm-Kopf-Muskel (Oberarm-Kopfmuskel, Brachiocephalicus) als Bild vor Augen. Tatsächlich aber muss man das, was man optisch als Unterhals wahrnimmt, noch einmal differenzieren und zwar in einen MUSKULÄREN UNTERHALS, der eben den Brachiocephalicus betrifft und einen, wie ich es nenne INFRASTRUKTURELLEN UNTERHALS, der durch eine stark nach unten-vorne gebogene Halswirbelsäule entsteht, welche dabei auch die Luft- und Speiseröhre nach unten-vorne herausdrückt.

Grundsätzlich könnte durch entsprechendes Training, in Form einer korrekten und gewissenhaften FORMUNG des Halses, sowohl der MUSKULÄRE UNTERHALS, als auch der INFRASTRUKTURELLE UNTERHALS (durch AUFWÄRTS-VORWÄRTS-DEHNUNG unter Mitnahme der RÜCKENLINIE) beseitigt werden. Hat das Pferd allerdings bereits ARTHROSE in der Halswirbelsäule, welche sich  in der Regel bei den unteren Halswirbeln findet, so ist eine AUFWÄRTS-VORWÄRTSDEHNUNG nur noch sehr eingeschränkt bis gar nicht mehr möglich [1]

ARTHROSEN in der unteren Halswirbelsäule entstehen sehr häufig durch Dauerreizung, wenn ein Pferd beispielsweise ständig mit SCHLAUZÜGEL geritten wird (oder wurde). Sogenannte HILFSZÜGEL – und schon der Name ist eine Farce – schaden eher dem Pferd und stiften nur für den Reiter (dessen Wissen an Grenzen gestoßen ist) einen mehr als fragwürdigen Nutzen.

In den folgenden Bildern sehen wir eine 21-jährige Trakehner-Stute, die sich im Besitz einer älteren Dame befindet. Die Stute, die einen starken Vorwärts-Drang hat,  wurde Vorwärts-Abwärts und über einen längeren Zeitraum auf Anraten einer Reitlehrerin auch mit SCHLAUFZÜGEL geritten. Diese Form der Reiterei brachte das Pferd dazu, schwer in die Hand der Reiterin zu gehen und statt feines Reiten (was durch V/A-Reiterei nicht seriös möglich ist) entstand ein Kräftemessen mit dem Pferd. Der Einsatz der Schlaufzügel war sicherlich der verzweifelte Versuch einer, mit ihrem Wissen am Ende befindlichen Reitlehrerin, die Stute für die Besitzerin händelbarer zu machen.

Als ich sie kennenlernte, hatte die Stute eine massive Trageerschöpfung und ging extrem gegen die Hand, was einer deutlichen Vorwärts-Abwärtsneigung der Rückenlinie geschuldet war. Die Stute fiel nach Vorwärts und damit auch in die Hand der Reiterin, die sie kaum halten konnte.

Der Querarm war nahezu waagerecht, das heißt, die vordere Hauptfederung (Buggelenk), war nicht mehr in der Lage das FALLEN abzufangen. Die begrenzte Möglichkeit des Ellbogen-Gelenks die Vorwärts-Abwärts-Bewegung nach unten weiterzuführen (was auch gut so ist, sonst würde ein Pferd nur auf die Nase fallen), führte zu einem Mehr an Rückständigkeit der Vorderbeine und damit zu einer weiteren Verstärkung des Vorwärts-Abwärtsdrucks.

Die Stute wies sowohl einen MUSKULÄREN als auch einen INFRASTRUKTURELLEN UNTERHALS auf. Durch entsprechende UMFORMUNGSARBEITEN konnte der MUSKULÄRE UNTERHALS nahezu beseitigt werden, der INFRASTRUKTURELLE UNTERHALS allerdings konnte nicht verändert werden, was auf Arthrose in den unteren Halswirbeln schließen lässt. Auch diverse Abwehrbewegungen bestätigen diese, meine Einschätzung in diese Richtung.

Aktuell arbeite ich daran, den Trensengehorsam der Stute dadurch zu verbessern, dass man durch (inzwischen) immer weicheres Annehmen der Zügel, die Stute versucht zum Nachgeben und AUFWÄRTS-VORWÄRS-DEHNEN zu bringen. Die Arbeit mit den SCHLAUFZÜGELN hat dazu geführt, dass die Leidensfähigkeit der Stute sehr hoch ist. Sie hat nachhaltig gelernt gegen den Druck und in den Schmerz zu gehen. Durch ein sehr geduldiges Arbeiten wird nun der Stute gezeigt, dass sie nicht in den Druck gehen muss, um sich zur Wehr zu setzten, sondern dass es eine sanfte Alternative – frei von Schmerzen – für sie gibt, welche sie gerade lernt, diese für sich anzunehmen. Dabei darf aber nicht verschwiegen werden, dass zu Beginn dieser „Umschulung“ (hin zur Nachgiebigkeit) oft mit erheblichem, gleichmässig stärker werdenden Druck eingewirkt werden musste.

An dieser Stelle möchte ich anmerken, dass die Idee, das „Pferd müsse den Zügel suchen“ und sich „zum Zügel hin dehnen“, völliger Unsinn ist! Korrekterweise muss das Pferd lernen, das Mundstück anzunehmen und den Druck, den dieses auf Zunge, Lade oder Mundwinkel ausübt selbstständig zu neutralisieren, in dem sie sich VORWÄRTS-AUFWÄRTS in den durch die Zügel definierten, verfügbaren Raum zu dehnen lernt, was in letzter Konsequenz ein zartes WEICHEN vom Mundstück bedeutet.

Heute (16.05.2023) wurde ein großer Durchbruch erzielt. Die Stute gab immer weicher nach. Wo einst beide Hände mächtig Kilo zu spüren bekamen, reichten plötzlich zwei Finger, um sie vom Zügel weichen zu lassen.

Diese Arbeit erfolgte zunächst im Stand, vom Boden und Sattel aus. Sukzessiv wird in der weiteren Arbeit Bewegung dazu genommen, denn der Bewegungsdruck verändert erstmal wieder alles.

Doch die Saat der Nachgiebigkeit ist gesetzt und die Pflanze wird nun immer schneller, auch in der Bewegung, wachsen.


Autor: Richard Vizethum | Schule der Hippologie


[1] Dennoch kann man die RÜCKENLINIE durch entsprechende Formung des Halses mit der Halswirbelsäule zusammen anheben.


Beitragsbild:
Aufsatzzügel beim US-amerikanischen Pleasure Harness, der Aufsatzzügel ist so kurz verschnallt, dass er das scharfe Aufsatzzügelgebiss im Maul hochzieht, das Martingal ist so kurz verschnallt, dass es die Leinen bricht, das Pferd hat keine Bewegungsfreiheit und kann nicht entspannt gehen, die Kopfhaltung ist hoch und der Unterhals herausgedrückt, Leinenaugen nur am Kammdeckel

Quelle: Von Jean – originally posted to Flickr as Saddlebred Stallion in Harness, CC BY 2.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=12122430