Der Weg zur Reitkunst – Reitkunst ist der Weg

Autor: Richard Vizethum | Schule der Hippologie | Der letzte Stallmeister | Denkender Reiter

Kann man die „Reitmeister“ der Vergangenheit eigentlich unter dem „gleichen“ Begriff der REITKUNST subsummieren?

Um diese Frage zu beantworten bedarf es einer klaren Definition dessen, was man unter REITKUNST verstehen kann. Würde man heute diese Frage in einer Runde stellen, dann würde die einhellige Meinung vorherrschen, dass REITKUNST sich in jenen überzeichnenden Pferdebewegungen, Piaffen, Passagen, … oder sogar SCHULEN über der Erde ausdrückt. Doch dieses sind lediglich die Produkte einer KUNST.

Der Mensch bequem („Alles was lebt ist faul!“) versucht nun, solcherlei  Produkte zu erschaffen, ohne dabei die KUNST, die zu ihnen hinführt wirklich zu verstehen. Diese KUNST wahrhaftig zu beherrschen und vor allem weiterzuentwickeln war und ist nur sehr wenigen Menschen – den wahrhaft DENKENDEN REITERN – vorbehalten.

REITKUNST ist die körperliche und geistige Formung (UMFORMUNG) eines Lebewesens. REITKUNST bevorzugt oder benachteiligt dabei keine Rassen und Charaktere. REITKUNST schreckt auch nicht vor körperlichen Unzulänglichkeiten der zu formenden „Masse“ zurück. REITKUNST ist bestrebt, jedes „Ausgangsmaterial“ zur Vollkommenheit zu bringen. Einer Vollkommenheit, die nicht eitlem Selbstzweck dient, sondern darauf abzielt, dass es dem Pferd jene Form gibt, in der es sich optimal und energiesparend bei allen noch so hohen Leitungsanforderungen bewegen und dabei ein möglichst langes Pferdeleben lang gesund bleiben kann. 

Diese Begriffsdefinition von REITKUNST stellt den Kulminationspunkt seiner begrifflichen Entwicklung dar. Die LEHRE VOM GRALSWEG wiederum den Kulminationspunkt der Wegbeschreibung dieser KUNST.

Die Völker, welche Pferde zum ersten Mal zu Reitzwecken nutzten, machten sich noch keine Gedanken über die REITKUNST, deren Kunst war es, oben zu bleiben. Das hat sich allerdings bis in die heutige Zeit hinein gehalten. Mit zunehmender Nutzung der Pferde als Reittiere und einem höheren Domestizierungsgrad begannen sich einzelnen Menschen etwas mehr Gedanken über die Pferde und deren Ausbildung zu machen. Xenophon (430 v.Chr. – 354 v.Chr.) sei hier exemplarisch erwähnt, obwohl es sicherlich vor ihm auch schon Reiter gab, die sehr langsam begannen an dem zu entwickeln, was man nun durchaus mit der Überschrift REITKUNST versehen kann. Zu Xenophon sei angemerkt, dass er in der „Pferdeliebe“, die man ihm heute nachsagt, völlig überschätzt. Aber gegenüber den, nur draufspringenden und lospreschenden „Reitern“, denen ein Pferd im Falle seiner Vernichtung immer noch als Nahrungsmittel dienen konnte, war dies schon ein erster guter Entwicklungsschritt.

Der Italiener Grisone (1507 – 1570), dem man nachsagt Xenophon in der ersten lateinische Übersetzung von Camerarius aus dem Jahr 1537 gelesen zu haben, versuchte hier weiterzuentwickeln. Die Methoden, welche man als experimentell bezeichnen muss, waren sicherlich zum Teil extrem brutal (man kennt vielleicht das Bild von Grisone, wo er ein Pferd in extremer Rollkur reitet – als Beispiel), aber man wußte es einfach noch nicht besser und tastete sich vor.

Die christliche Glaubenslehre, die den Menschen über alle anderen Lebewesen stellt,  trug sicherlich auch dazu bei, dass man nicht zwingend bestrebt war, immer gleich zu versuchen das feinste Mittel zu finden. Auch waren die Pferde – auch wegen der rüden Behandlungen, der Aufstallungen etc. – sicherlich nicht immer ganz ungefährlich. 

Salomon de Broue (1530 – 1610) ein Schüler von Giovanni Pignatelli (1540 – 1600), der wiederum ein Schüler von Grisone war, versuchte nun an vielen Stellen bereits die eine oder andere „feinere“ Methodik, hing aber immer noch der neapolitanischen Gewaltschule an und brachte diese nach Frankreich.

Die REITKUNST entwickelte sich und die Brutalitäten in Methoden und Handeln wurden weniger. Namen wie Antoine de Pluvinel (1552 – 1620), William Cavendish, der 1. Herzog von Newcastle (1592 – 1676) und schließlich François Robichon de la Guérinière (1688 – 1751) trugen hier, die REITKUNST entwickelnd, viel dazu bei. Man hatte inzwischen einfach schon deutlich mehr Wissen (Wo Wissen fehlt – regiert die Gewalt).

Eine weitere, zunächst letzte, aber umso mächtigere Entwicklung, erfuhr die REITKUNST, hin zu einer immer feineren, effizienteren Form, durch die preußischen Stallmeister zur Zeit Friedrichs des Großen und darüber hinaus noch bis etwas zur Mitte des 19. Jahrhunderts. Diese Stallmeister, zum Teil im Range von Professoren, welche Hippologie an Universitäten lehrten, gingen die Pferdeausbildung höchst wissenschaftlich an. Nie vorher in der Geschichte wußte man mehr über Pferde, deren Verhalten und einer feinen und hochqualifizierten Pferdeausbildung wie bei den alten Preußen des 18. und auslaufend bis Mitte 19. Jahrhundert.

Dennoch hatten auch diese Stallmeister den GRALSWEG noch nicht vollständig beschritten. Es gab noch etwas, wenn auch nur sehr wenig, Entwicklungspotenzial zu noch mehr Feinheit.

Jedoch gab es ab Mitte des 19. Jahrhunderts eine schwerwiegende Zäsur. Jene schon zu Zeiten des Herzogs von Newcastle und wahrscheinlich schon davor sehr beliebte und von England ausgehende, Jagdreiterei, fand immer mehr Anklang auf dem Kontinent. Ein Grund für die nahezu schlagartige Verbreitung, welche Jagd- und damit auch die Sport- und Geländereiterei, ab Mitte des 19. Jahrhunderts fanden, darf auch auf Veränderungen im Verwendungszweck der Kavallerie zurückgeführt werden.

Für diese, auf Grund ihres Ursprungs, als ANGLOMANE REITEREI (Englisch Reiten) bezeichnete Form des Reitens, zählte ein Pferdeleben nicht besonders viel. Mit ihr kehrte man wieder in eine Zeit der Naturreiterei zurück, für welche REITKUNST keine Rolle spielte und die Kunst der Ausübenden eben lediglich darin bestand im Sattel zu bleiben. Genau diese Reiterei haben wir auch heute noch. Die Dressurreiter (beispielsweise) heutiger Zeit haben von REITKUNST nicht die geringste Ahnung, sie lernen oben zu bleiben und ihre Pferden müssen die Lektionen „auswendig“ lernen – mehr ist da nicht, von Springreitern will ich gar nicht erst reden!

Die ANGLOMANE REITEREI, für die Pferdeleben und -gesundheit nichts zählt, hat auch jeden Feinheitsgrad wieder verdrängt und Rohheit und Brutalität den Pferden gegenüber Tür und Tor geöffnet.  

Alle sogenannten Reitmeister der Neuzeit sind nur Nachahmer, die nichts zur Entwicklung der REITKUNST beizutragen haben. Deren Verdienst aber liegt darin, dass sie zumindest versuchen etwas von dem Wissen der Vergangenheit gegen einen Tsunami der Inkompetenz und Gedankenlosigkeit zu stellen, was man hoch anrechnen muss.

Die REITKUNST und ihre wenigen (wissenschaftlichen) Entwickler, kann man durchaus unter einem Begriff subsummieren, denn REITKUNST musste sich entwickeln. Dabei immer aufbauend auf dem Wissen der Vergangenheit (und sei dieses vielleicht auch noch so brutal gewesen).

Meine LEHRE VOM GRALSWEG stellt zwar den Kulminationspunkt dieser Entwicklung dar, aber steht auf den Schultern all jener, wenigen (NACH)DENKENDEN REITER der Vergangenheit, welche zur Entwicklung einer der großartigsten Künste beigetragen haben: DER REITKUNST.


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Der (Nach)denkende Reiter

Den Begriff des DENKENDEN REITERS prägte einst einer der vortrefflichsten Oberbereiter der Hofreitschule zu Wien, Max Ritter von Weyrother (1783-1833). Auch wenn viele Pferdemenschen diese Betitelung für sich in Anspruch nehmen und sich gerne als einen solch „denkenden Reiter“ sehen wollen, so sind es in der Geschichte der Reiterei in Wahrheit nur sehr, sehr wenige, denen dieser Titel zustehen würde. Es ist jener kleine Kreis von STALLMEISTERN, die die Reiterei wahrhaftig voran gebracht haben.

Da des Denkens durchaus viele Menschen fähig sind, diese Fähigkeit aber nicht annähernd die geistige Leistung eines DENKENDEN REITERS, nach meinem Verständnis erreicht, und die Seltenheit derselben zum Ausdruck bringt, werde ich im Folgenden anstelle der Begrifflichkeit DENKENDER REITER den zutreffenderen Begriff des (NACH)DENKENDEN REITERS gebrauchen.

DENKEN ist das HANDWERK – NACHDENKEN die KUNST!

Der (NACH)DENKENDE REITER, von wahrer Leidenschaft beseelt, macht sich SEINE Gedanken und lebt nicht nur von den Gedanken und Wissensbruchstücken Anderer, gleichwohl er diese auch weiter- und überdenkend nutzen wird.

Das Wissen des (NACH)DENKENDEN REITERS basiert auf den Gedanken und den Kenntnissen anderer (NACH)DENKENDER REITER vor ihm. Darüber hinaus  nutzt er seine, durch große Erfahrung entwickelten Fähigkeiten zur genauen Beobachtung und sein ausgeprägtes Gespür für Zusammenhänge, um zum Kern von Problemen zu dringen und passende Lösungen zu erarbeiten. Er beschäftigt sich dabei forschend mit der ganze Band-breite der  Wissenschaften.

Er bleibt, in dem Wissen, dass Lernen niemals endet, nie stehen und geht seinen Weg, auch wenn dieser oft voller Hindernisse und Widerstände ist. Das alles nur, um die REITKUNST – vor allem zum Wohle der Pferde – stetig weiterzuentwickeln und diese in immer feinere, effizientere Sphären zu heben.

Wie bedauernswürdig sind nicht Lehrbegierige, die in einer Gegend wohnen, wo die Wissenschaften fremd, die Kenntnisse dunkel, die Genies matt sind, wo der Eifer zur Gelehrtheit schläft und unemfindlich ist, und wo mit einem Wort, alle glückliche Neigungen zu schönen Künsten und Wissenschaften, unter der Decke der Unwissenheit ersticken müssen! [1]

(Freiherr von Sind – 1786)

(NACH)DENKENDE REITER haben es in Zeiten einer allgemeinen Verdummung, grassierender Ignoranz und selbstüberschätzender Anmaßung schwer, ihr Wissen zu transportieren, sind ihre Botschaften doch oft keine leichte Kost und stören so manches eingeschränkte und liebgewonnene reiterliche aber auch gesellschaftliche Weltbild. 

Doch ein wahrhaft Lernbegieriger wird sich dankbar und demütig zeigen, sollte er das außergewöhnliche Glück haben, von einem (NACH)DENKENDEN REITER lernen zu dürfen. Er wird dessen Wissen aufsaugen, um sich selbst mit wachem Geiste auf jenen schweren, steinigen und dornenreichen Weg zum GRAL zu machen. Einem Weg, der sein Leben fast zur Gänze ausfüllen wird. Einen Weg, der seine ganze Leidenschaft und Hingabe erfordert. Einen Weg, der ihn, so er nicht aufgibt und stets vorwärts geht, vielleicht mit der Würde, aber auch Bürde belohnt, selbst in den kleinen Kreis der (NACH)DENKENDEN REITER aufgenommen zu werden.

Doch am Ende seiner Tage wird auch er mit der Selbst-erkenntnis von der Bühne des Lebens abtreten, dass das Ende des Weges auch durch seine Arbeit und sein Lehren vielleicht doch noch nicht vollständig erreicht werden konnte.

Der ZWEIFEL ist die Triebfeder aller wahrhaftigen WISSENSCHAFT!

Er kann dann nur hoffen, dass er das Privileg hatte, einem lernbegierigen Schüler, seine Leidenschaft und sein Wissen weitergeben zu haben, auf das dieser dem WEG des GRALS, ebenso wie er, sein Leben widmet.

[1] Freiherr von Sind |“Vollständiger Unterricht in den Wissenschaften eines Stallmeisters“ | 1786 | gedruckt bey Johann Thomas Edlen von Trattnern | Seite 4


Autor: Richard Vizethum | Der letzte Stallmeister | (Nach)denkender Reiter | Schule der Hippologie


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Literaturempfehlungen

Von ernsthafter Reitliteratur kann nur jener wirklich profitieren, der in der Reiterei mehr als bloß körperliche Tätigkeit sucht.[1]

Kurt Albrecht | 1920 – 2005 | Ehem. Leiter der Hofreitschule in Wien


Den Worten von Kurt Albrecht möchte ich gerne noch hinzufügen:

Wer ersthaft REITKUNST betreibt, kommt neben der „körperlichen Tätigkeit“ nicht am Studium „ernsthafter Reitliteratur“ und den Wissenschaften vorbei!


Ich werde von meinen Eleven immer wieder nach LITERATUR gefragt, in der sie sich, neben den Ausbildungseinheiten, zusätzlich theoretisch mit der Art und Weise, wie ich Pferde und Reiter UMFORME, beschäftigen könnten.

Immer gab ich diesen wissbegierigen Schülern die gleiche Antwort:

Da müsst ihr schon auf die Fertigstellung meiner REITLEHRE, der LEHRE VOM GRALSWEG warten, denn diese Art Pferde auszubilden wird schon seit über 180 Jahren nicht mehr gelehrt und die vorhandene Literatur aus dem 18. Und 19. Jahrhundert ist aus heutiger Sicht sehr schwer zu verstehen“.

Die wissenschaftlich arbeitenden preußischen STALLMEISTER in der Zeit von Friedrich dem Großen (18. Jahrhundert) und seines genialen Kavalleriegenerals von Seydlitz-Kurzbach schufen die beste, jemals auf diesem Planeten existierende Reiterei. Nie vorher und auch nie mehr danach, in keinem Land der Welt, wurden Pferde besser ausgebildet als in dieser Zeit. Diese STALLMEISTER schufen Höchstleistungspferde.

Mit dem Ausscheiden der letzten preußischen STALLMEISTER aus dem Kavalleriedienst (gegen 1848), ging auch dieses Wissen (in seiner korrekten Interpretation) verloren.

Die vorhandene LITERATUR, beispielsweise von E.F. Seidler oder Louis Seeger, welche schon in der Endzeit der preußischen Stallmeister gearbeitet und gelehrt haben, sind mit heutiger Brille, die geprägt ist von der pferdeverschleißenden, aber für den bequemen Menschen wenig anstrengenden ANGLOMANEN Reiterei, die nach 1848 ihren Triumphzug rund um die Welt begann, und für welche die echte FORMUNG und Gymnastizierung der Pferde zuviel Arbeit darstellt (Credo: „das Gelände wird es schon richten!“), nicht zu verstehen! Dieses Verständnis, wird auch dadurch erschwert, dass Begriffe über die Zeit neue, mitunter stark veränderte Inhalte bekommen haben.

Um nun aber den wirklich WISSBEGIERIGEN doch Literatur an die Hand zu geben, die ihnen zwar nicht meine LEHRE VOM GRALSWEG (vor deren Erscheinen) und dessen Basis, das Wissen der preußischen STALLMEISTER des 18. Jahrhunderts, verständlich näherbringen kann, aber dennoch dabei hilft, die Gedanken in diese Richtung zu formen, werde ich an dieser Stelle nach und nach zielführende LITERATUREMPFEHLUNGEN geben.


Dogmen der Reitkunst

Kurt Albrecht (1920 – 2005)
Ehemaliger Leiter der Spanischen Reitschule in Wien

Von allen neuzeitlicheren Oberbereitern der Hofreitschule zu Wien halte ich Kurt Albrecht noch für denjenigen, der sich des kulturellen Auftrages der Hofreitschule stets bewusst war.

Verlag ORAC, Wien | 1. Auflage | 1981 |
ISBN 3 85368 877 2


Autor: Richard Vizethum | Der letzte Stallmeister | Schule der Hippologie


[1] Kurt Albrecht | „Dogmen der Reitkunst“ | 1. Auflage 1981|Verlag ORAC Wien | Seite 9


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Reiten ist eine Wissenschaft

Die Suche nach dem Gralsweg

Wie Philosophie oder Mathematik ist Reiten ernsthaft betrachtet eine Wissenschaft.

Es waren schon immer sehr, sehr wenige Reiter (Stallmeister) gewesen, die diese Wissenschaft ausübten, die sich auf die Suche nach den Gesetzmäßigkeiten machten und diese akribisch erforschten. Ohne diese Wenigen hätte Reiten nie zur Reitkunst werden können.

Auch wenn es vielleicht anmaßend klingt, so ist es in Demut gesprochen: Ich bin wohl der Letzte dieser Art!

Die Auffindung von Gesetzmäßigkeiten nun ist Sache der Wissenschaft, ihre Anwendung aber Kunst; mehr oder weniger ist daher jede menschliche Tätigkeit höherer Ordnung Wissenschaft und Kunst zugleich.

(Oberstleutnant a.D. v. Dreyhausen | „Reitwissenschaftliche Vorträge“ | 1931)

Reiten ist eine Wissenschaft

Nicht für jeden Reiter muss REITEN EINE WISSENSCHAFT sein. Aber für diejenigen, die sich berufen fühlen REITKUNST in ihrem vollen Umfange zum Wohle des Pferdes verstehen wollen, für diese wenigen ist es eine VERPFLICHTUNG Reiten als WISSENSCHAFT anzusehen!

FÜHLEN hat mit Wissenschaft nichts zu tun, ist aber wie BEOBACHTEN der Ausgangsgrund für die WISSENSCHAFT.

Nur wer aus dem, was er gefühlt oder beobachtet hat eine Hypothese formuliert und versucht, diese Hypothese zu verifizieren indem er das WARUM und das WIE ergründet, immer bestrebt eine ALLGEMEINGÜLTIGE REGEL zu finden, der wird sein Tun und Handeln nicht dem Zufall überlassen.

Der, der beim FÜHLEN stehenbleibt, der nur Empiriker, „der gewöhnlich nur auf gut Glück in die Organisation des Thieres greift, und sie nicht selten anstatt sie zu vervollkommnen, verdirbt“ [1], wie Du Paty de Clam anmerkte, arbeitet nur nach Trail and Error, weil er selten wirklich weiß, WARUM eine bestimmte Aktion zu einem bestimmten Ergebnis geführt hat. Auch findet er keine ALLGEMEINGÜLTIGEN GESETZMÄSSIGKEITEN, so dass es vorkommt, dass das, was eine Zeitlang erfolgreich angewandt wurde plötzlich in Gänze oder bei einzelnen Individuen nicht mehr funktioniert.

Dann sondert der NUR-FÜHLER schon mal Pferde aus, weil sie nicht mit dem Methodenpaket kompatibel sind.

Auch ein NUR-FÜHLER kann sehr weit kommen, er wird aber den Gipfel der REITKUNST nie erreichen. An dieser Stelle lasse ich dann erneut Du Paty de Clam zu Wort kommen:

„Einen zweckmäßigen Dressurplan zu entwerfen, bedarf es des Studiums der Wissenschaft und einer langen Erfahrung. Jedes einzelne Glied muß in Rücksicht der Wirkung auf das Ganze in diesem Plane berücksichtigt werden, keine Lücken dürfen obwalten, und genau müssen die Forderungen der Kunst nach den Vollkommenheiten der Natur abgewogen sein. Nur eine Rücksicht unbeachtet gelassen und der Dressurplan ist gescheitert.[2]


Autor: Richard Vizethum | der letzte Stallmeister | Schule der Hippologie


[1] Du Paty de Clam | „Theorie und Praktik der höhern Reitkunst “ | Original 1777; dt. Übersetzung von Premier-Leutnant Blatte 1826 |Nachdruck Verlag Olms | Seite 203

[2] Du Paty de Clam | „Theorie und Praktik der höhern Reitkunst “ | Original 1777; dt. Übersetzung von Premier-Leutnant Blatte 1826 |Nachdruck Verlag Olms | Seite 203


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Das perfekte Pferd

Manchmal denke ich, wie wunderbar es wäre, einmal ein perfektes, vollkommenes Pferd ausbilden zu dürfen. Eines von diesen Wundern der Zucht, ausgestattet mit großer Athletik und herausragendem Bewegungstalent. Einem Pferd welchem Piaffe und Passage bereits in die Wiege gelegt wurde und welches ruhig, entspannt und neugierig all den Dingen entgegensieht, die da kommen mögen.

Es wäre ein Privileg ein solch perfektes Pferd ausbilden zu dürfen.

Doch dann mache ich mich wieder auf den Weg, zieh hinaus zu all den „weniger begünstigen“ Pferden, um mit ihnen zu arbeiten. Wenn ich dann vor einem solchen stehe oder mich auf seinen Rücken schwinge – in diesem Moment weiß ich, dass es keinen besseren Platz und kein besseres Pferd gibt und die Sehnsucht nach dem „perfekten Pferd“ verschwindet.

Ich bin privilegiert, auch ohne jenes „perfekte Pferd“, denn ich habe die besten Lehrmeister, die man sich wünschen kann, lehren sie mich doch Demut und Bescheidenheit.


Autor: Richard Vizethum | der letzte Stallmeister | Schule der Hippologie


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Die Umformung des Pferdes – ein Überblick

REITKUNST ist die Fähigkeit der UMFORMUNG eines NATÜRLICHEN PFERDES zu einem REITPFERD„.
(Richard Vizethum)

Dieses Wissen und die Kunst, Pferde körperlich so umzuformen, dass diese unglaubliche Höchstleistungen erbringen konnten und dabei ein langes Pferdeleben lang, an Leib und Seele gesund blieben, wie dies die STALLMEISTER der alten Preußen zur Zeit Friedrichs des Großen beherrschten, ging um etwa Mitte des 19. Jahrhunderts (1848) gänzlich verloren.

In meiner Beschäftigung mit den Pferden entwickelte ich diesen Weg, wissenschaftlich forschend, wie dies auch die preußischen STALLMEISTER taten, lange völlig unabhängig und nichts von deren Tun wissend, in nahezu identischer Weise und so war es wir möglich, später deren Vorgehen  in Gänze zu verstehen und nachvollziehen zu können.

Die UMFORMUNG des Pferdes, nach meiner LEHRE VOM GRALSWEG, von einem NATÜRLICHEN PFERD zu einem REITPFERD, geht nicht über die heute übliche Konditionierungen – sprich das Auswendiglernen – von Lektionen und Manövern und das Arbeiten des Pferdes als Ganzes, sondern durch ein, in seiner Reihenfolge logisch aufgebautes und den physikalischen Grundsätzen und Möglichkeiten der Natur folgendes Lösen von SPEZIALAUFGABEN.

Man beginnt zunächst einmal damit, die widerstrebenden Kräfte (Gelenke, Knochen, Bänder …) des Pferdekörpers, welche die limitierenden Faktoren der UMFORMUNG sind, zu analysieren und auf ihre Formbarkeit hin zu bewerten. Danach setzt man diese zu einer möglichen[1] idealen Sollstellung in Vergleich, um daraus den Umformungsbedarf bzw. die Umformungsmöglichkeiten zu bestimmen.

Die UMFORMUNG selbst, bei welcher man die Muskulatur (bewegenden Kräfte) nützt, beginnt mit der Vorhand, die stets zusammen mit der RÜCKENLINIE[2], welche von Natur aus Vorwärts-Abwärts geneigt ist, deutlich angehoben wird, was die Rückenlinie in eine nahezu waagerechte Lage und den Hals weiter in Richtung der Schultern zurück bringt. Dies führt dazu, dass die von Natur aus stark vorne überhängende Last, bedingt durch Hals und Kopf, bereits deutlich verringert und durch die Vorderbeine vermehrt abgestützt wird.

Danach geht man gezielter[3] zur Hinterhand über, welche man (im Stehen betrachtet) soweit vorzieht, dass die Hufspitzen der Hinterhand an der Kreuzbein-Lotrechten[4] liegen und sorgt für eine dauerhafte mehr oder weniger leichte Beugung, um die Rückenlinie nun vollständig in die Waagerechte zu bringen. Buggelenk und Hüftgelenk befinden sich damit, wie auch die Rückenlinie auf einer waagerechten Linie.

Die Winkelungen der Vorhand (hinab bis Ellbogen-Gelenk) und der Hinterhand (hinab bis Kniegelenk) werden dadurch nahezu identisch und können sich in der Bewegung bei geringerem Reibungsverlust die Kräfte optimal zuwerfen, mit der Folge, dass ein Leistungsabfall bei Belastung deutlich später eintritt und weniger stark ausfällt. Die Pferde werden somit in die Lage versetzt, über einen längeren Zeitraum größere Leistung erbringen zu können und dies dazu bedeutend stressfreier.

Das Pferd wird in seiner gesamten Ausrichtung und auf allen drei Ebenen symmetrischer und die ungleichen Belastungen der Struktur, welche beim natürlichen Pferd in vielfältiger Weise gegeben sind, werden nahezu komplett in gleichmäßige Belastungsmomente umgewandelt.

Die Muskulatur wird so „umgeformt“, dass diese, zusammen mit den Faszien, die neue Körperform, selbst in den Alltagsbewegungen des Pferdes, konserviert. Die durch die UMFORMUNG hergestellte neue Haltung des Pferdes wird damit zu dessen neuer NATÜRLICHE HALTUNG.

Ein solchermaßen UMGEFORMTES Pferd kann nicht mehr in die Hand des Reiters gehen, da jeglicher Bewegungsdruck aus der Hinterhand vermehrt Vorwärts-AUFWÄRTS fließt, das Pferd nimmt sich somit automatisch „aus der Hand“ des Reiters.

Nun erst ist es tatsächlich in der Lage sich – wie es so häufig beschworen wird – sich weiter RELATIV aufzurichten[5].

Das Pferd hat während dieses Prozesses gelernt die Trense drucktechnisch nach eigenem Ermessen[6] zu neutralisieren, diese dabei aber stets als Informationsquelle zu nutzen (TRENSENGEHORSAM). Darüber hinaus lässt die erreichte AUFRICHTUNG (Hals – Vorhand – Rückenlinie) gar nicht mehr zu, dass sich das Pferd stark am Gebiss ANLEHNEN[7] kann bzw. überhaupt anlehnen muss, denn die Bewegungen erfolgen in optimaler Balance. Der Massemittelpunkt (Schwerpunkt), der im Prozess der UMFORMUNG immer weiter zurück zum fiktiven GLEICHGEWICHTSPUNKT[8] verschoben wurde, oszilliert in der Bewegung des Pferdes stets nahe am Gleichgewichtspunkt.


Autor: Richard Vizethum | der letzte Stallmeister | Schule der Hippologie
Auszug aus der LEHRE VOM GRALSWEG


[1] Nicht bei jedem Pferd kann die ideale Sollstellung vollständig erreicht werden, ohne dass dazu die Grenzen (widerstrebende Kräfte), die die Natur setzt, zum Schaden des Pferdes überschritten werden müssten. Dennoch kann JEDES Pferd nahe an diese ideale Sollstellung herangeführt werden.

[2] Nur Wirbelkörper ohne Dornfortsätze

[3] Wirkungen auf die Hinterhand entstehen natürlich auch bereits bei der Hebung der Vorhand (incl. Rückenlinie).

[4] Lot vom Kreuzbein zum Boden

[5] Was bei einem vermehrt vorwärts-abwärts gerittenen bzw. nur Lektionen konditioniertem Pferd schlicht und ergreifend eine physikalische Unmöglichkeit ist. Die bei solchem Reiten oft empfundene „Bergauf-Tendenz“ entsteht nicht durch ein Anheben (Aufrichten der Vorhand), sondern durch ein – bedingt durch weites Vorgreifen der Hinterhand erzieltes – Tieferlegen des Pferdes in der Hinterhand!

[6] Ob das Pferd den Druck auf NULL Gramm reduziert und damit das Mundstück nur aufliege hat, oder ob es sich noch mit 500 Gramm „draufstützt“ weil dies ihm angenehmer ist, liegt im Ermessen des Pferdes.

[7]ANLEHNUNG ist das Angebot an das Pferd, sich bei leichten Balanceverluste nach vorne kurzzeitig in der Hand des Reiters abstützen zu können“ (R.V.) Die Notwendigkeit der ANLEHNUNG verschwindet dann, wenn das Pferd seine maximal mögliche Aufrichtung (Hals – Vorhand – Rückenlinie) bei gleichzeitigem Fallenlassen der Nase gen Senkrechte erreicht hat. Diese optimale Haltung in Aufrichtung macht ANLEHNUNG schließlich unmöglich aber auch unnötig!

[8] Ein definiertes Ideal, welches an den Kreuzungslinien der auf dem Boden befindlichen Stützen (Beine) befindet. Definiert wird dieser Gleichgewichtspunkt erstmals in meiner LEHRE VOM GRALSWEG.

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Der Pferde-Nerd

Gerade las ich in einem Buch, welches gestern (16.02.2024) seinen Eingang in meine Bibliothek gefunden hat folgendes Zitat:

Die Menschen, die den Spagat zwischen der Neurowissenschaft und dem Horsemanship wagen, müssen gleichzeitig Reithosen und Laborkittel tragen, vielleicht sogar noch alte, schmutzige Stiefel. Im Grunde braucht es geradeheraus redende Pferde-Nerds – also Menschen, die Neurowissenschaft erklären können, ohne den Begriff ‚Neurowissenschaft‘ zu verwenden.[1]

Wollte man mich beschreiben, so hätte man dies kaum gelungener tun können. Allerdings würde ich die Einschränkung bei der Wissenschaft auf Neurowissenschaft gerne auf das breite Feld der Philosophie, der Naturwissenschaften und der Systemtheorie erweitern wollen!

Einen Pferde-Nerd der der Wahrheit verpflichtet, immer geradeheraus ist, der bin ich wohl und ein Anwalt dieser wundervollen Geschöpfe dazu!

Richard Vizethum | der letzte Stallmeister | Schule der Hippologie


[1] Janet L. Jones | „Horse Brain – Human Brain“ | Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co.KG – Stuttgart | Seite 12

Aufrichtung – Der Irrglaube der Moderne

Aufrichtung – Der Irrglaube der Moderne

LEHRE VOM GRALSWEG – Aus dem Kapitel: „Wege und Irrwege der Aufrichtung – Teil 4“

Die moderne Reiterei, die sich gerne den Anstrich der „Klassik“ und der „Unumstößlichkeit“ ihrer Lehre gibt, sich dabei auf die D.V.E 12 von 1912 bzw. die HDv 12 von 1937 bezieht – was zumindest nicht ganz schlecht wäre – basiert letztendlich bei, näherer Betrachtung vermehrt auf der Neo-Naturreiterei eines Frederico Caprilli.  

Diese moderne Reiterei nun sitzt dem irrigen Glauben auf, dass man ein Pferd, nur von HINTEN nach VORNE arbeiten müsse, damit es sich vorne RELATIV, wie man diese Form der Aufrichtung nennt, aufrichten würde.

Die relative Aufrichtung (s.d.), deren äußeres Merkmal ein Höhertragen von Hals und Kopf infolge Senkung der Hinterhand ist, …[1]

Diese Aussage von Waldemar Seunig ist nur zum Teil korrekt. Der Gedanke, dass das alleinige Senken der Hinterhand die Vorhand anheben und eben damit diese RELATIVE AUFRICHTUNG erreichen würde, ist nur dann möglich, wenn man auf ein Vorwärts der Pferde und eine übermäßige Trittlänge der Hinterhand verzichtet und wie bei den akademischen Meistern (Pluvinel, de la Guérinière …), die Bewegungen in den Grundgangarten (Schritt, Trab, Galopp) ausschließlich auf die mit stark gesenkter Hinterhand ausgeführten Schulformen dieser Gangarten beschränkt.

Allerdings verkörperte Waldemar Seunig, auch reiterlich-intellektuell, bereits verstärkt eine Reiterei (anglomane[2] (Natur)Reiterei), welche auch schon zu seiner Zeit meilenweit von jener der alten Akademiker und der preußischen Kavallerie zu Zeiten Friedrichs des Großen und seines Kavallerie-Generals von Seydlitz-Kurzbach sowie deren genialen Stallmeistern entfernt war.

Diese Entwicklung hatten im Wesentlichen zwei Gründe.

Zum einen, machte eine Verbesserung der Waffentechnologie (größere Schussreichweiten bei den Kanonen und Repetierbarkeit bei den Handfeuerwaffen), aber auch eine Veränderung der Infanterie-Taktik (von der Linienformation vermehrt zum Karree[3]) neue Strategien und Einsatzspektren für die Kavallerie notwendig. Den Pferden wurde ein stärkeres VORWÄRTS abverlangt und der Galopp wurde zur Hauptgangart.

„Die dritte Anforderung, die höchstmögliche Schnelligkeit, findet sich in den von uns zu reitenden Tempos begründet, wie sie durch das Reglement vorgeschrieben sind. Wenn die frühere Normal-Attacke 200 bis 250 Schritt[4] im Galopp vorschrieb, so hatte dies in dem damaligen Infanterie-Gewehr seinen Grund; bei den jetzigen weittragenden Präzisions-Waffen kommen wir jedoch auf 800 bis 1000 Schritt in eine derartige Feuer-Sphäre, welche von uns den langen allongirten[5] Galopp verlangt, Wenn wir nicht physisch und moralisch auf das Aeußerste geschwächt an den Feind kommen wollen, wo von das Mißlingen der Attacke die unbedingte Folge ist“[6].

Zum anderen verbreitete sich die anglomane Reiterei, welche weniger auf eine gymnastizierende Ausbildung der Pferde Wert legte und mehr dem naturreiterlichen Credo folgte: „das Gelände wird es schon richten“, wie eine Seuche – ab Mitte des 19. Jahrhunderts verstärkter – auf dem Kontinent und machte auch vor der Kavallerie nicht halt.

Das Ziel jeder Ausbildung ist, Pferd und Reiter zum Ritt querfeldein zu befähigen. Jagdspringen auf Turnierplätzen sind Vorbereitungen zum Querfeldeinritt. Niemals kann ein Turnierplatz so viel mannigfaltige Natürlichkeit bieten wie das freie Gelände. Für den ausgebildeten Reiter wird es kaum unüberwindliche Hindernisse geben, wenn er sich selbst und sein Pferd genügend geschult hat. Das Ueberwinden steilster Kletterpartien auf- und abwärts, breiter Gräben mit sumpfigen Rändern, selbst das Springen von Drahtzäunen kann durch Ausbildung erreicht werden.[7]

Wie man es den Worten des Freiherrn von Langen entnehmen kann, stellt diese (anglomane) Reiterei stärker den schneidig-sportlichen Aspekt (Jagdreiten, Springreiten, Rennreiten) in den Vordergrund und hat nichts am  Hut mit feiner Reitkunst oder Kavallerietaktiken, die umfangreich und fein ausgebildete Pferde erforderlich machten. Auch die Gesundheit der Pferde spielte und spielt in dieser modernen Reiterei nur eine sehr untergeordnete Rolle.

Diese neuzeitliche Gedankenkombination von Wissensfetzen: Beugung der Hinterhand (historische Form das Pferd vorne [relativ] aufzurichten) bei gleichzeitig stärkerem Vorwärts (moderne Anforderung an die Kavallerie), welche u.a. auch Waldemar Seunig sichtbar unreflektiert zusammensetzte, führt zu einer physikalische Unmöglichkeit, welche aber munter ignoriert wird, um den Traum einer RELATIVEN AUFRICHTUNG träumen zu können.

Das stärkere Vorwärts macht eine tiefe, gleichmäßige Durchbeugung der Hinterhand – Voraussetzung für eine RELATIVE Anhebung der Vorhand – völlig unmöglich und führt beim verzweifelten Versuch solche dennoch zu erreichen, zu gesundheitsschädlichen Methoden und dadurch bedingt vermehrtem Pferdeverschleiß!

Statt einer gleichmäßigen und deutlichen Durchbeugung der Hinterhand, mit der man bei den alten akademischen Meistern ein Pferd relativ aufrichten konnte, welche aber bei vermehrtem Vorwärts nicht möglich ist, versuchte man stattdessen nun die Hinterhand der Pferde immer weiter und weiter vortreten zu lassen.

Während die alten preußischen Stallmeister das „Gleichgewicht“ der Pferde darin erreicht sahen, dass die Hinterhand lediglich in den Hufabdruck der Vorhand tritt – dies aber auch nur dann, wenn die RÜCKENLINIE[8] des Pferdes bereits durch korrektes Aufrichten der Vorhand und leichter Senkung der Hinterhand (Arbeit von VORNE nach HINTEN und Lösen von Spezialaufgaben), in die Waagerechte gebracht werden konnte, sprach wiederum Waldemar Seunig davon, dass das Hinterbein der Pferde bis zu 1 ¼ Tritte[9] (!) über den Hufabdruck des Vorderbeines vortreten sollte.

Dies bewirkt zwar eine Beugung der Hanken[10], da sich bei diesem Vortritt des Hangbeins[11] das Knie soweit anhebt, dass der Hüftgelenkswinkel spitz wird. Allerdings werden dabei die unteren, schwächeren Gelenke (Sprung- und Fesselgelenke) gegen ihre Beugerichtung gestreckt, was Überlastungen dieser Strukturen vorprogrammiert. Physikalisch ist dieser Hebel nicht in der Lage, das Pferd vorne (relativ) anzuheben! Diese Pferde werden stattdessen – gesundheitsschädlich – hinten tiefer gelegt. Vorne bleibt das Pferd aber „auf der Vorhand“.

Hätte Seunig den Steinbrecht, auf den er sich oft bezieht, auch wirklich intensiv gelesen, wäre ihm der  Passus aufgefallen, in dem Steinbrecht davon spricht, dass, je weiter ein Pferd mit der Hinterhand vortritt, es umso vermehrter auf die Vorhand kommt![12]

Hinzu kommt noch, dass das moderne Vorwärts-Abwärtsreiten (auch in Dehnungshaltung) den Rumpfträger „ausleiert“ und Muskelgruppen fördert, welche bei korrekter Aufrichtung eigentlich „zurückgebaut“ werden müssten. Schmerzen in der Oberhals- der Nackenmuskulatur und dem Ober-Arm-Kopfmuskel sind vorprogrammiert.

Ein echtes AUFRICHTEN, bei dem der Buggelenkswinkel stumpf wird, sich also der Querarm (Oberarm) muskulär „konserviert“ vorne anhebt, das Buggelenk auf Höhe des Hüftgelenkes gebracht wird und die Winkel von Bug- und Hüftgelenk nahezu gleichwinkelig werden, so dass diese sich die Kräfte balancierter „zuwerfen“ können, kann es über die Methoden der modernen Reiterei NICHT geben!

Die heutigen Pferde, dies kann man auch in den höchsten Klassen der Dressur deutlich erkennen, kommen in ihrer „Aufrichtung“ so gut wie nie über die NATÜRLICHE HALTUNG und eine vorwärts-abwärts geneigte Rückenlinie hinaus.

Für die alten preußischen Stallmeister war diese Haltung, die das NATÜRLICHE PFERD, noch ungeritten, beim zwanglosen Bewegen von A nach B (und ohne die Nase durch einen Reiter – wie es heute geschieht – an die Senkrechte gezwungen zu bekommen), die von ihnen sogenannte und beschriebene TIEFE aus der heraus sie dann erst die Pferde aufzurichten begannen.

Leider meinte manch neuzeitlicher und heute hochgeschätzter „Meister“, in einem Irrglauben, die TIEFE wäre erst dann erreicht, wenn die Pferde mit der Nase am Boden schnüffeln würden – wie Jagdhunde oder Trüffelschweine. Aus dieser trainingstechnisch fragwürdigen und das Pferd demütigenden Haltung entwickelte sich die Vorwärts-Abwärts-Reiterei, die es davor zu keiner Zeit – und dies aus gutem Grunde – gegeben hat und die von hervorragenden Kavalleristen wie dem Generalmajor Carl Johann von Schmidt (1817 – 1875), auf das Allerschärfste verurteilt worden wären, da der Verlust an Pferden in der Kavallerie (schon in der Alltagsarbeit) durch eine solche Form der „Reiterei“ erheblich gewesen wäre!

Schon das zu seiner Zeit – und ohne Vorwärts-Abwärts – immer mehr zunehmende Galopptraining unter Reduzierung der dressurmäßigen Gymnastizierung der Pferde, führte zu einem hohen Pferdeverschleiß, was ihn veranlassten 1874 einen Bericht an die Armeeführung zu schreiben, in dem er forderte zu den Grundsätzen und Regeln der altpreußischen Dressurmethoden zurückzukehren:

„Das die Pferde vornehmlich im Winter-Halbjahr, und sodann fortgesetzt während der Sommerübungen, nach den Grundsätzen und Regeln der altpreußischen Dressurmethoden[13] in die ihrem Gebäude angemessene, richtige Haltung, Aufrichtung, Beizäumung und Versammlung gesetzt worden sind, dieselben sich nicht schwer auf die Zügel legen und nicht fest in der Hand ihrer Reiter, sondern in allen Theilen weich und nachgiebig sind, und ihre Hinterhand gebogen[14] und untergeschoben worden ist, damit dieselbe im Stande ist, vermöge ihrer Elastizität und Spannkraft das Gewicht und die Stöße elastisch aufzunehmen, und dadurch die Vorderfüße zu schonen und zu erleichtern.[15]

Leider verstarb dieser General, dessen Worte weit über die Kavallerie hinaus Gewicht hatte, ein Jahr später, im Jahre 1875, so dass es für ihn keine Möglichkeiten mehr gab, diese Forderung durchzusetzen – sehr zum Leidwesen der Pferde!


Autor: Richard Vizethum | Der letzte Stallmeister | Schule der Hippologie


[1] Waldemar Seunig | „Von der Koppel bis zur Kapriole. Die Ausbildung des Reitpferdes“ | 4. Nachdruck der Ausgabe Berlin 1943 | Georg Olms Verlag AG – Berlin | 2015 | Seite 184

[2] ANGLOMANIE, bedeutet die übertriebene Nachahmung alles Englischen.

Dies darf zunächst einmal als ein Kompliment für die englische Lebensart angesehen werden. Bezogen auf die Reiterei wurde darunter die Leidenschaft der Engländer für das Jagd-, Spring-, und Rennreiten verstanden. Eine Leidenschaft, welche sich mehr und mehr über England und Kontinentaleuropa hinaus ausbreitete. In England und Irland führte dies zu einer Verbesserung der Pferdezucht (Englisches Vollblut …), welche die schlechte Ausbildung der Pferde durch unzureichend gebildete Reiter kompensieren sollte.

[3] Ein KARREE (von französisch Carré, „Quadrat“) war im Militärwesen vom 17. bis vermehrter ins 19. Jahrhundert hinein eine Gefechtsformation der Infanterie mit nach vier Seiten hin geschlossener Front zur Abwehr von Kavallerie. Das Karree bot einen wirkungsvollen Schutz gegen Kavallerieangriffe, da es keine ungeschützte Flanke aufweist.

[4] Schritt ist ein Längenmaß  und entspricht 75,325 cm (Alter preußischer Schritt). Die angegebenen 200 Schritt beispielsweise sind umgerechnet 150,65 Meter. Die genannten 800 Schritt entsprechen 602,6 Meter. Diese 800 Schritt musst nach neuen Richtlinien ein Pferde pro Minute im Galopp zurücklegen (entspricht 36,2 Km/h). Ursprüngliche waren dies 500 Schritt (376,63 Meter oder 22,6 Km/h).

[5] Allongirt = gestreckt (z.B. starker Galopp, Carriere …)

[6] Generalmajor Carl von Schmidt |“Instruktionen des Generalmajors Carl von Schmidt, betreffend die Erziehung, Ausbildung, Verwendung und Führung der Reiterei“ | 1876 geordnet und in wortgetreuer Widdergabe der Originalien zusammengestellt durch von Bollard-Bockelberg | Verlag Ernst Siegfried Mittler und Sohn | Seite 3

[7] Carl-Friedrich Freiherr von Langen | „Reiten über Hindernisse“ | 1931 | Nachdruck Olms-Verlag 1996 | Seite 36

[8] RÜCKENLINIE: Es werden hier nur die Wirbelkörper der Wirbelsäule ohne obere Dornfortsätze betrachtet.

[9] Quelle wird nachgereicht

[10] Hanken nach der Lehre vom Gralsweg: Hüftgelenkswinkel (Kreuzbein – Hüftgelenk – Kniegelenk. Das Sprunggelenk wird nicht dazugezählt (dies führt zu fehlerhaften Methoden bei der Ausbildung der Hankenbeugung.

[11] Vorschwingendes Hinterbein

[12] Quelle wird nachgereicht

[13] General von Schmidt spricht sich hier für die altpreußischen Dressurmethoden von vor 1806 und im Grunde noch etwa bis 1848 aus.

[14] Der Begriff „Biegen“ bedeutet: das Biegen in den Gelenken, Genick, Rücken und Hinterhand und geringgradig das seitliche Biegen, welches man neuzeitlich diese Begriff zuschreibt und damit den ursprünglichen Begriffsinhalt konterkariert.

[15] Kaehler | „Die preußische Reiterei von 1806 bis 1876 in ihrer inneren Entwicklung“ | 1879 | Verlag Ernst Siegfried Mittler und Sohn | Nachdruck Europäischer Geschichtsverlag 2015 | Seite 330f

Aufrichtung – Die genialen preußischen Stallmeister

Aufrichtung – Die genialen preußischen Stallmeister

LEHRE VOM GRALSWEG – Aus dem Kapitel: „Wege und Irrwege der Aufrichtung – Teil 2“

Die genialen preußischen Stallmeister zu Zeiten Friedrich des Großen und seines Kavalleriegenerals von Seydlitz-Kurzbach, deren Wirken noch etwa bis Mitte des 19. Jahrhunderts[1] die Pferdeausbildung in der Kavallerie bestimmten, gingen bei der AUFRICHTUNG – der militärischen Zweckorientierung der Pferde, aber auch dem Zeitgeist (Industrialisierung, Maschinenzeitalter) geschuldet – einen völlig anderen, für die Pferde gesünderen Weg, als dies die akademische Reiterei (Pluvinel, de la Guérinière …) tat.

Dieses stark wissenschaftlich-technisch geprägte Vorgehen der preußischen Stallmeister finden wir beispielsweise gut dokumentiert bei Ernst Friedrich Seidler[2],[3] und Louis Seeger[4] (beide Schüler des wohl prägendsten Oberbereiters der Wiener Hofreitschule: Max Ritter von Weyrother[5], der den Begriff des DENKENDEN REITERS formulierte).

Die preußischen Stallmeister richteten die Pferde zunächst in der Vorhand, über einzelne Entwicklungsphasen, so auf, dass auch die RÜCKENLINIE[6] von vorne nach hinten, zum Lumbosakral-Gelenk hin, mit angehoben wurde.

Ein „Abknicken“ im Übergang zwischen Hals- und Brustwirbelsäule wurde so verhindert.

Die Anhebung der Vorhand diente dazu, durch Kräftigung der Rumpftragemuskulatur, jene von Natur aus in der Regel VORWÄRTS-ABWÄRTS geneigte RÜCKENLINIE in die Waagerechte zu erheben und dabei zugleich Buggelenk und Hüftgelenk auf eine gleiche Höhe zu verbringen und deren Winkel auch noch anzugleichen, so dass diese beiden Hauptfederungen[7] des Pferdes sich die Kräfte deutlich energiesparender zuwerfen konnten, als dies, mit der von Natur aus Vorwärts-Abwärts geneigten Rückenlinie, bei welcher der Energieverbrauch deutlich höher ausfällt und damit der Leistungsverlust natürlich sehr viel schneller vonstattengeht, möglich wäre.

Erst nachdem dieser Prozess abgeschlossen war, begannen sie, nach temporärem leichtem „Absenken“[8] des Rückens, die Hinterhand intensiver zu bearbeiten. Sie berücksichtigten damit, im Gegensatz zu den Meistern der akademischen und der neuzeitlichen Reiterei (bei diesen allerdings würde ich „Meister“ zwischen ganz dicke Anführungszeichen setzen), die von Natur aus vorhandene Schwäche der Hinterhand.

Was den allerwenigsten Reitern bekannt sein dürfte, kennt das NATÜRLICHE PFERD seine Hinterhand nicht wirklich und lässt diese, durch die, aufgrund des Gewichtsüberhangs, nach vorwärts fallende Vorhand, einfach nur MITZIEHEN[9], statt aus dieser heraus aktiv zu schieben (SCHUB)! Dieses energiesparende Vorgehen bringt allerdings mit sich, dass die Hinterhand von Natur aus, zunächst einmal mit wenig Belastbarkeit[10] (Kraft) ausgestattet ist und auch entsprechend zunächst wenig belastet werden sollte! Der allergrößte Teil der heutigen, bis in die allerhöchsten Klassen „ausgebildeten“ Pferde, verbleibt zeitlebens in diesem, für ein REITPFERD ungesunden Zustand.

Die im Rahmen der UMFORMUNG angestrebte Beugung der Hinterhand fiel bei den Stallmeistern deutlich mäßiger aus als bei den Schulpferden der akademischen Reiterei, um den Pferden das für die Kavallerie so wichtige Vorwärts in den Grundgangarten nicht zu nehmen, welches für die geforderten Dauerleistungen, beispielsweise für lange Märsche, zwingend Notwendigkeit war.

Dennoch aber sollte die Hinterhand der Pferde so kräftig und beugefähig werden, dass die Pferde große 2-Schlag-Galoppsprünge wie beispielsweise die Carriere[11] beim Chok[12] ausführen und im Einzelkampf auf der Hinterhand, am „kleinen Finger geführt“, tanzen konnten und somit auch Elemente der Hohen Schule sehr gut beherrschten.

Diese Beugung der Hinterhand finalisierte schließlich die UMFORMUNG des Pferdes. Der Bewegungsdruck einer durch diese Methode erarbeiteten tragenden und federnden Hinterhand, geht jetzt VORWÄRTS-AUFWÄRTS das Pferd wird leicht und nimmt sich selbst dem Reiter aus der Hand. Fordert man nun ein so umgeformtes Pferd zu einem vermehrtem Einsatz der (leicht gebeugten) Hinterhand auf, dann kann sich das Pferd vorne, rein durch den physikalischen Hebel und ohne zusätzlichen Kraftaufwand, weiter (RELATIV) anheben!

Solche Pferde waren für die Kampagne (die Schlacht, das Manöver …) im höchsten Maße geeignet, beherrschten aber auch Bewegungen der HOHEN SCHULE. Die Vorgehensweise bei der körperlichen UMFORMUNG durch die genialsten Stallmeister in der der Geschichte der Reiterei, berücksichtigte in perfekter Weise die Physik des Pferdes und erzielte Pferde, die schier unglaubliche Höchstleistungen zu erbringen im Stande waren.

So waren sie oft viele Stunden bereits unter dem Sattel, bevor sie in die Schlacht geworfen wurden. So geschehen beispielsweise in der Schlacht bei Zorndorf, im Siebenjährigen Krieg, am 25. August 1758, wo die Pferde bereits über 12 Stunden unter dem Sattel waren, bevor für den Angriff „mäßiger Galopp“ befohlen wurde, „weil die Pferde bereits müde seien„. Aufgrund ihrer hervorragenden Ausbildung aber hatten diese Pferde trotz dieser gewaltigen Anforderungen dennoch sehr gute Chancen, an Leib und Seele gesund bleiben zu können.

Tierschutz ging in der preußischen Kavallerie VOR Menschenschutz.
Dies hatte rein pragmatische Gründe. Die Ausbildungszeit des Menschen war vergleichsweise kurz, er konnte also leichter ersetzt werden. Im Gegensatz dazu erhielt das Pferd eine über 3-4 Jahre dauernde intensive Ausbildung. Für solche Pferde gab es keine 2. Garnitur!

Unabhängig von den preußischen Stallmeistern und zunächst ohne Kenntnisse deren Vorgehens in der Ausbildung der Pferde, entwickelte ich exakt den gleichen Weg und so war es mir möglich, im Gegensatz zu allen anderen, den Preußen folgenden neuzeitlicheren „Meistern“, das Vorgehen, dieser Stallmeister, Pferde gesund auszubilden, zu verstehen und mehr als nur nachvollziehen zu können.

In meiner LEHRE VOM GRALSWEG (Reitlehre) wird diese nachhaltig gesunde Art Pferde so zu FORMEN, dass sie ein langes Pferdeleben lang, gesund, leistungsbereit, motiviert und sicher werden, beschrieben und in meinen Ausbildungseinheiten und Kursen pädagogisch anschaulich intensiv und schlüssig vermittelt.

Mit dieser, meiner intensiven Arbeit versuche ich dieses – durch Bequemlichkeit und Ignoranz – verlorene Wissen der reiterlichen Allgemeinheit in verständlicher Form wieder zugänglich zu machen, verbunden mit der großen Hoffnung, dass es dadurch den Pferden, diesen wundervollen, edlen Geschöpfen, wieder besser gehen wird, als dies in der Neuzeit (und schon länger davor) der Fall ist, aber auch mit der Hoffnung, dass sich weitere Interessierte auf den GRALSWEG machen und ich nicht der LETZTE STALLMEISTER einer wahrhaftigen REITKUNST bleiben werde.


Autor: Richard Vizethum | Der letzte Stallmeister | Schule der Hippologie


Den Text auch als Podcast …


[1] In diesem Jahr ging, laut Otto Digeon von Monteton, der wohl letzte Stallmeister in Ruhestand und in der preußischen Kavallerie wurde die Ausbildung direkt von den Rittmeistern (ohne vorherige Anleitung durch die Stallmeister) durchgeführt, was zu einem Qualitätsverlust in der Ausbildung führte.

[2] 1837 | Ernst Friedrich Seidler | „Leitfaden zur gymnastischen Bearbeitung des Campagne- und Gebrauchspferdes“ | Eigenverlag – Gedruckt in der Dietericischen Buchdruckerei (E.G. Mittler) – Berlin |

[3] 1846 | Ernst Friedrich Seidler | „Die Dressur difficiler Pferde, die Korrektion verdorbener und böser Pferde“ | Druck und Verlag von Ernst Siegfried Mittler – Berlin, Posen und Bromberg

[4] 1844 | Louis Seeger | „System der Reitkunst“ | Verlag von Friedrich August Herbig – Berlin

[5] Max Ritter von Weyrother beeinflusste neben de la Guérinière, Louis Seeger und Benno von Oeynhausen maßgeblich das Vermächtnis der Reitkunst von über 500 Jahren, welches sich die Wiener Hofreitschule verpflichtet hat, weiterzutragen.

[6] RÜCKENLINIE: Es werden hier nur die Wirbelkörper der Wirbelsäule ohne obere Dornfortsätze betrachtet.

[7] Die vordere Hauptfederung ist der Buggelenkswinkel (Schulter – Buggelenk – Querarm). Die hintere Hauptfederung sind die Hanken nach Definition der LEHRE VOM GRALSWEG, sprich der Hüftgelenkswinkel (Kreuzbein – Hüftgelenk – Kniegelenk).

[8] Damit ist kein durchhängender Rücken oder ähnliches gemeint, sondern es musste, damit überhaupt eine Beugung der Hinterhand ohne (Über)Dehnung des Nacken-Rückenbandes bei dieser aufgerichteten Hals- und Rückenlinie ermöglicht werden würde, ein leichtes Absenken des Rückens stattfinden, welcher dann wieder durch die Beugung der Hinterhand kompensiert wurde. Das Nacken-Rückenband blieb dabei in „Neutralspannung“. Eine „Aufwölbung“ des Rückens, wie dies die Rückenwahnsinnigen der Neuzeit fordern, würde zu einer körperlichen Schädigung der Struktur führen!

[9] Aktuell kann man diesen fehlenden SCHUB auch noch bei den Pferden, die in der Dressur bis zur höchsten Klasse „ausgebildet“ sind, erkennen.

[10] Diese reicht für kurzzeitige – auch aggressive – Fluchtbewegungen, ist allerdings nicht für Dauerleistungen geeignet.

[11] Carriere: Gewaltiger 2-Schlag-Galopp, bei dem jeweils die Vorderbeine gleichzeitig absprangen, gefolgt von den gleichzeitigen Hinterbeinen.

[12] Der Chok war eine besondere Art des Angriffs der Kavallerie. Dabei lief eine Reiterlinie mit größter Wucht auf die feindlichen Linien zu. Der Anlauf zum Chok in voller Carriere begann erst etwa 80-60 m  vor den gegnerischen Linien. Keine lebende Masse konnte diesen gewaltigen Aufprall widerstehen. „… die Gewalt der Carriere ist so groß, daß, wen diese volle Gewalt trifft, der wird widerstandslos niedergeritten. Pferde, die einmal gewohnt sind, beim Hochspringen die Hindernisse einzurennen, verlassen sich auf ihre Gewalt, ein Beweis, daß der stärkere Theil, dem der Andere weichen muß, nicht einmal Schmerz empfindet; kurz, die Gewalt der schnellen Bewegung wird Jedem klar werden, der für diesen Gedanken Beispiele sucht.“ (Otto Digeon von Monteton).

Der letzte Stallmeister

Der letzte Stallmeister

Die genialen preußischen Stallmeister

Die preußischen Stallmeister zu Zeiten Friedrichs des Großen[1] und seines genialen Kavallerie-Generals von Seydlitz-Kurzbach ab Mitte des 18. Jahrhunderts, hoben die Pferdeausbildung auf ein bis dahin noch nicht gekanntes Niveau. Diese Stallmeister, welchen zum Teil im Range von Professoren stehend, als Universitätsstallmeister an Universitäten Hippologie lehrten, zeichneten u.a. bei den preußischen Kavallerieregimentern verantwortlich für die Konzepte der Pferdeausbildung und der Ausbildung der Rittmeister[2]. Sie verdienten oft so viel wie ein Regimentskommandeur, was auch ihren hohen Stellenwert innerhalb der preußischen Reiterei deutlich machte.

Es gehörte früher zur Bildung der Großen, von der Reitkunst sehr eingehende Kenntnis zu haben. Alle Universitäten hatten einen Stallmeister, der Professor-Rang hatte, so wie auch alle Ritter-Akademien. Heut lernt ein jeder selbst reiten, aber es ist auch danach.[3]

Geprägt wurden diese Stallmeister bei ihren Ausbildungs-Konzepten von den Entwicklungen des Maschinenzeitalters, welche mit der industriellen Revolution in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts begann. In diesem Zeitalter veränderte eine Serie von technischen Erfindungen die Arbeitswelt grundlegend.

Die damit einhergehende, neue, mehr technisch orientierte Geisteshaltung, hatte auch Auswirkungen auf die Ausbildung der Pferde. Diese wurden nun mehr als „Maschine“ betrachtet und man versuchte, die einzelnen körperlichen Elemente der Pferde nach physikalischen und logischen Grundsätzen, wissenschaftlich analytisch, optimal aufeinander abzustimmen, um so das Leistungsvermögen und die Gesundheit, der für die Kavallerie so wertvollen Pferde[4], deutlich und nachhaltig zu steigern.

Das Ergebnisse waren nahezu perfekt geformte Pferde, welche schier unglaubliche Höchstleistungen erbringen konnten, ohne dabei in entsprechendem Maße Schaden an Leib und Seele zu nehmen. Nie vorher und nie mehr danach und an keinem anderen Ort der Welt, hatte die Pferdeausbildung, insbesondere die der Kampagnen-Pferde der Kavallerie ein höheres Niveau, als unter der Ägide dieser akribisch arbeitenden preußischer Stallmeister.

Jedoch wurde ihnen die Betrachtung der Pferde als Maschine in der Folgezeit, besonders durch die Vertreter der sich, mehr und mehr, wie eine Seuche, nun auch in den Kavallerien ausbreitende, schlampige und stärker an der Eitelkeitsbefriedigung der Reiter, als an der Gesunderhaltung der Pferde orientierten, anglomanen „Natur-Reiterei“ zum Vorwurf gemacht. Diese anglomane Reiterei setzte mehr auf (diffuses) FÜHLEN, den Galopp und das Gredo „Das Gelände wird es schon richten!“ als auf eine sinnvolle, gesunde und reproduzierbare Ausbildung der Pferde. Dieser Vorwurf, denen man die Stallmeistern machte, war und ist völlig haltlos und diente lediglich dazu, die pferdeunfreundlicheren und gesundheitsschädlicheren Konzepte der bequemen, anglomanen, und neuzeitlicher, der emotionalisierten (anglomanen) Reiterei in ein positives Licht zu rücken.

Auch für die Stallmeister und gerade für diese, waren die Pferde Lebewesen, mit all ihrer Individualität und so wurden sie auch behandelt! Aber um sie körperlich dauerhaft zu gesunden, Höchstleistungen erbringenden Tieren umzubauen, war und ist es zwingend erforderlich die Physik des lebenden Systems Pferd (schlicht gesprochen, die „Maschine Pferd“) wissenschaftlich zu analysieren, zu bewerten und zu formen! Wer aber ausschließlich auf FÜHLEN setzt (dazu muss man allerdings wissen, was man fühlen sollte), der wird die Ausbildung der Pferde immer dem Zufall überlassen und dessen Ergebnisse werden immer mittelmäßig bleiben und nicht auf alle Pferde gleichermaßen anwendbar sein. 

Mit der Doppelschlacht von Jena und Auerstedt am 14. Oktober 1806 und der vernichtenden Niederlage der preußischen Armee durch die Franzosen unter Napoleon[5] in deren Folge die Preußen alle ihre gut ausgebildeten Pferde an die Franzosen verloren, begann auch das Zeitalter der preußischen Stallmeister nach und nach ein Ende zu finden. Im Grunde waren sie dem Staatshaushalt (kurzsichtig denkend) zu teuer geworden. Von nun an begann man die Verantwortung für die Ausbildung der Pferde in die Hände der Schwadronchefs und deren Rittmeister zu legen, was einen, zunächst schleichenden, dann immer stärkeren Qualitätsverlust in der Ausbildung zur Folge hatte und die Tür für die Anglomanie in der Kavallerie immer weiter öffnete[6]. Etwa im Jahre 1848[7] schied nach Berechnungen von Otto Digeon von Monteton wohl der letzte Stallmeister Altersbedingt aus dem Dienst.

In den Folgejahren nahm der Pferdeverschleiß durch unzureichende Ausbildung zu. Zweckbedingt wurde der Galopp zur vermehrten Gangart der Kavallerie und übermäßig trainiert, was zu den hohen Pferdeverlusten beitrug. Die Pferde verschlissen an den Beinen, es kam zu Kieferbrüchen und weiteren körperlichen Schäden. Dieser Umstand veranlasste 1875 den Kavalleriegeneral von Schmidt zur Forderung wieder zu den altpreußischen Dressurmethoden zurückzukehren:

… die Pferde vornehmlich im Winter-Halbjahr, und sodann fortgesetzt während der Sommerübungen, nach den Grundsätzen und Regeln der altpreußischen Dressurmethoden[8] in die ihrem Gebäude angemessene, richtige Haltung, Aufrichtung, Beizäumung und Versammlung gesetzt worden sind, dieselben sich nicht schwer auf die Zügel legen und nicht fest in der Hand ihrer Reiter, sondern in allen Theilen weich und nachgiebig sind, und ihre Hinterhand gebogen[9] und untergeschoben worden ist, damit dieselbe im Stande ist, vermöge ihrer Elastizität und Spannkraft das Gewicht und die Stöße elastisch aufzunehmen, und dadurch die Vorderfüße zu schonen und zu erleichtern. [10]

Leider verstarb dieser sehr einflussreiche General im Jahre 1875, so dass es ihm unmöglich wurde dieser Forderung in der Armee Nachdruck zu verleihen. Sehr zum Leidwesen der Pferde, welche immer mehr der „schneidigen“, sportlichen und weniger kavalleristischen, anglomanen Reiterei geopfert wurden. Diese fand in der Wehrmacht (die heute so hochgelobt wird) ihren traurigen militärisch-reiterlichen Höhepunkt und beeinflusste in der Folgezeit die heutige moderne Reiterei über die Skala der Ausbildung, deren Grundlagen (im Wesentlichen HDV 12 von 1912 und 1937) man, in völliger Selbstüberhöhung und völlig zu Unrecht als „unumstößlich“ und „klassisch“ bezeichnet.

Der letzte Stallmeister

Bevor ich von diesen großartigen preußischen Stallmeistern erfuhr, kam ich unabhängig von diesen –  genauso wissenschaftlich akribisch arbeitend – zu den gleichen Erkenntnissen und Vorgehensweisen bei der Ausbildung der Pferde. Ich formte die Pferde so wie diese Stallmeister es taten und dies sogar noch in der gleichen Reihenfolge der Bearbeitung. Dieser parallele und unabhängige Erkenntnisgewinn machte es mir, im Gegensatz zum Gros der „Reitmeister“ in der Folgezeit der Preußen, möglich, zu verstehen, wie die besten Pferdeausbilder in der Geschichte der Reiterei gearbeitet haben und ich konnte schließlich, als ich von ihnen erfuhr und mich noch tiefer auf ihre Arbeit einließ, weiter von ihnen lernen.

In deren Sinne weiterarbeitend darf ich mich wohl zu Recht, aber in aller Demut vor der Größe dieser Kunst und meiner preußischen Vordenker, auf deren Schultern ich stehen darf, als den wohl letzten Stallmeister und einen der wenigen „denkenden Reiter“[11] in der Geschichte der Reiterei bezeichnen. Dieses Privileg ist für mich verbunden mit der Verpflichtung, für die Pferde, jene wundervollen, treuen und tapferen Lebewesen einzutreten und deren Anwalt zu sein – auch gegen jede Befindlichkeit der Menschen!

In meiner LEHRE VOM GRALSWEG (Reitlehre) dokumentiere ich all die über viele Jahre, mit vielen (diffizilen) Pferden der verschiedensten Rassen – vom Zwerg-Pony bis zum Shire-Horse – gewonnene Erfahrung und die daraus wissenschaftlich erarbeiteten, umfangreichen Erkenntnisse. Dies tue ich, verbunden mit der Hoffnung, dass Menschen, die an der Gesundheit und dem Wohlbefinden der Pferde interessiert sind, sich auf den GRALSWEG machen und in meinem Sinne und dem meiner genialen Vordenker – all jenen großartigen preußischen Stallmeistern – weiterarbeiten.

Vielleicht gibt es sie dann irgendwann wieder in größerer Zahl: die STALLMEISTER!


Autor: Richard Vizethum | Der letzte Stallmeister | Schule der Hippologie



[1] Friedrich II. oder Friedrich der Große, volkstümlich der „Alte Fritz“ genannt, war ab 1740 König in, ab 1772 König von Preußen. Er entstammte der Dynastie der Hohenzollern.

[2] Die Rittmeister wiederum waren dafür verantwortlich, die Ausbildungskonzepte der Stallmeister über die Ausbildung der Offiziere und Unteroffiziere in die Truppe zu tragen.

[3] Otto Digeon von Monteton | „Über die Reitkunst“ | 1877 | Nachdruck Olms-Verlag 1995 | Kommentar auf Seite 137

[4] Tierschutz ging in der preußischen Kavallerie vor Menschenschutz!

[5] Napoleon Bonaparte (1769 – 1821), als Kaiser Napoleon I, war ein französischer General. Aus korsischer Familie stammend, stieg Bonaparte während der Französischen Revolution in der Armee auf. Von 1804 bis 1814 und nochmal 1815 Kaiser der Franzosen.

[6] Die Kavallerieschule in Hannover war nie ein Hort guter Pferdeausbildung, sondern von Anbeginn (1866 – als Militärreitinstitut Hannover gegründet und 1920 in die Kavallerieschule Hannover umbenannt) der anglomanen, sportlichen schneidigen Reiterei (Jagdreiten, Geländereiten, Springen, Rennreiten …) zugetan.

[7] In diesem Jahr ging, laut Otto Digeon von Monteton, der wohl letzte Stallmeister in Ruhestand und in der preußischen Kavallerie wurde die Ausbildung direkt von den Rittmeistern (ohne vorherige Anleitung durch die Stallmeister) durchgeführt, was zu einem Qualitätsverlust in der Ausbildung führte.

[8] General von Schmidt spricht sich hier für die altpreußischen Dressurmethoden von vor 1806 und im Grunde noch etwa bis 1848 aus.

[9] Der Begriff „Biegen“ bedeutet: das Biegen in den Gelenken, Genick, Rücken und Hinterhand und geringgradig das seitliche Biegen, welches man neuzeitlich diese Begriff zuschreibt und damit den ursprünglichen Begriffsinhalt konterkariert.

[10] Kaehler | „Die preußische Reiterei von 1806 bis 1876 in ihrer inneren Entwicklung“ | 1879 | Verlag Ernst Siegfried Mittler und Sohn | Nachdruck Europäischer Geschichtsverlag 2015 | Seite 330f

[11] Dieser Ausdruck wurde von Max Ritter von Weyrother geprägt. „Denkende Reiter“ nach seiner Definition gab es in der Geschichte der Reiterei nur sehr wenige (welche uns durch ihre Werke bekannt wurden), gleichwohl sich so mancher gerne als solchen sehen möchte.