Aufrichtung – Die Schnelldresseure

LEHRE VOM GRALSWEG – Aus dem Kapitel: „Wege und Irrwege der Aufrichtung – Teil 3“

In allen Zeiten gab es Reiter, welche die Pferde in die Formen der HOHEN SCHULE (hohe Aufrichtung – tiefe Beugung) bringen wollten, allerdings nicht bereit waren, sich mit dem langwierigen Aufbauprozess von Schulpferden auseinanderzusetzen. Sie glaubten in kurzer Zeit die notwenige Form der Pferde herzustellen, wozu man in der akademischen Reiterei Jahre brauchte.

Nach Prinzipien älterer Zeit glaubte man die Gleichgewichtstellung dadurch herbeizuführen, daß man zuvörderst die Nase des Pferdes hoch heraufhob und mit beinahe waagerechter Kopfstellung mit dem Oberhauptbein den Hals hoch herauf- und zurückarbeitete; doch vieljährige Erfahrungen stellten dieses Verfahren nicht allein als weniger zweckmäßig, sondern als nachtheilig heraus, denn, ungeachtet die Nase des Pferdes höher kam, so blieb die Körperlast doch vorhängend, die Hinterfüße traten nicht nach, sie steiften sich, die Vorderbeine wurden struppirt [überlastet – Anm.d.Red.], Hirschhälse sah man hervordrücken ([dort] Taf.IV Fig. 3.), welche wieder Veranlassung zu unsteter Kopfstellung gaben. [1]

Diese von E.F. Seidler beschriebene und zu Recht kritisierte, unnatürliche  Vorgehensweise, deren Anwendung sich nicht nur auf die „ältere Zeit“ beschränkte, wandten die Verfechter dieser „Methode“ bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt der „Ausbildung“ an.

Mit der „Trense bäumt(e)“ man und um die dadurch hervorgerufene nahezu waagerechte Kopfstellung des jungen Pferdes schließlich zu korrigieren, wurde mit der „Kandare (ge)zäumt“. Dieses „Aufrichten“ von Hals und Kopf führte zu einem Abknicken im Übergang zwischen der Hals- und Brustwirbelsäule, verursachte Schmerzen und führt, daraus resultierend zu Abwehrreaktionen beim Pferd. Die Konsequenz dieses Vorgehens waren körperlich und seelisch stark angefasste Pferde, welche sich bei jeder Gelegenheit aus dieser Zwangshaltung, „keinem Zügel mehr gehorchend“,  herausschnellten.

Das Herantreiben der Hinterhand wiederum überlastete die zu Beginn einer Ausbildung noch schwache Struktur der Hinterhand, was ebenfalls zum Widerstand der Pferde beitrug.

Zu diesen Schnelldresseuren gehörte in seiner Entwicklung sehr lange auch der Franzose Francois Baucher[2], den man in seiner Zeit und danach gerne irgendwo zwischen „Genie“ und „Scharlatan“ einordnete. Die preußische Kavallerie stellte 1842 ein komplettes Regiment ab, um nach Bauchers, damals 1. Manier[3] zu arbeiten. Das Ergebnis war mehr als ernüchternd:

Es war nun im Jahre 1842, wo das Schwester-Regiment[4] unserer Brigade den Auftrag erhielt, nach dem damals die Reiterwelt in Unruhe versetzenden neuen ‚System‘ Baucher die Pferde auszubilden, welches 1843 nach dem grossen Kavalleriemanöver unter Wrangel bei Berlin so eklatante Misserfolge zeigte, dass diese unbedingte Beizäumungsmethode[5] für ewige Zeiten untersagt wurde, denn die Pferde schnellten sich aus derselben heraus, keinem Zügel mehr gehorchend.[6]

Diese Erkenntnis führte bei der preußischen Kavallerie zu einer nachhaltigen Ablehnung der Methode Baucher. Dies aber hatte rein pragmatische und keine nationalistischen Gründe, wie häufig behauptet wurde.

Die Baucherschen Pferde sind vom Standpunkte der Kriegsbrauchbarkeit aus betrachtet gänzlich roh, und viel unbrauchbarer als die Pferde der Anglomanen.[7]

Aber nicht nur der Ehrgeiz so manches „Reitmeisters“ führte zu derartigen Aufrichtungsexzessen.

1806 verlor Preußen im „Vierten Koalitionskrieg“ insbesondere in der Doppelschlacht von Jena und Auerstedt gegen Napoleon, was den militärischen und politischen Zusammenbruch Preußens bedeutete und in dessen Folge, die preußische Kavallerie alle ihre gutgerittenen Pferde an die Franzosen verlor.

Mit dem Frieden (1814/15) hatten die Preußen also keine Pferde mehr im Land und sie waren gezwungen ihre Remonten „aus ukrainischen, bessarabischen und moldauischen Steppenwildlingen“[8] zu rekrutieren. Pferde, die „über keine Brücke gingen, und in den Ställen alles zerrissen und zerschlugen“[9] Diese Pferde waren so unberechenbar, dass sie vom Nebenstand aus gefüttert und mit Striegeln an der Stange geputzt werden mussten. Das Reiten auf diesen Tieren war durchaus lebensgefährlich, was ein Satz von Waldemar Seunig drastisch illustriert:

Viele Opfer blieben damals auf den Schlachtfeldern der Reitplätze, nicht nur Wildlinge, die absolut nicht einsehen wollten, wozu sie eigentlich auf der Welt seien, auch Reiter und Wartungspersonal[10]

1825 und 1826 gelangte eine, von Generalmajor Friedrich Georg von Sohr verfasste, 4-teilige REITINSTRUKTION[11], zur Ausgabe an die Truppe. Diese blieb mehr als ein halbes Jahrhundert hindurch die bindende Regel für die gesamte Reitausbildung der preußischen und der deutschen Kavallerie.

In dieser Instruktion  trug von Sohr der „Qualität“ dieser Pferde und der Schwierigkeit im Umgang mit diesen, insofern Rechnung, als er darin die Anleitung zu einem „beschleunigten Verfahren gewaltsamer Bändigung“ gab, zu dem es auch gehörte, den Hals der Pferde hoch und senkrecht zurückzurichten, wobei die Köpfe in einem Winkel von 45 Grad zum Hals stehen sollten.

Was sowohl dieser Reitinstruktion aber insbesondere den „Schnelldresseuren“ damit leider gelang, war die nachhaltige Etablierung des Bildes eines Pferdes, mit senkrecht gestelltem Hals, hohem, fast waagerecht gehaltenem Kopf, herausgedrücktem Unterhals, ausstehenden Hinterbeinen, und den damit entstehenden Eindrucks eines weggedrückten Rückens.

Eines Bildes, welches dem des „Sternenguckers“ entspricht, einer Haltung, die manch unzureichend vorbereitete Pferde aus Angst oder Schwäche  beim ersten Kontakt mit dem Reitergewicht nach einem Anspannen, durch krampfhaftes Abspannen einnehmen.

Dieses Aufrichten, welches in keiner Weise etwas mit Reitkunst gemein hat, und das dadurch entstandene Bild in den Köpfen der Reiter, wird in der Neuzeit oft mit dem Begriff ABSOLUTE AUFRICHTUNG völlig fehletikettiert und als Gegenposition und damit Legitimation für VORWÄRTS-ABWÄRTS in vielen Werken von Ausbildern, Therapeuten und Tierärzten dargestellt und propagiert.

Dieses unschöne Bild, eines durch FALSCHE AUFRICHTUNG traktierten Pferdes, hat leider auch dazu geführt, dass alle Formen korrekten, sukzessiven Aufrichtens (wie beispielsweise durch die genialen preußischen Stallmeistern durchgeführt), weitgehend unbeachtet blieben und dadurch der Vergessenheit anheimgestellt wurden.

Womit ein sehr elementarer Teil der so notwendigen UMFORMUNG des Pferdes kaum mehr (lediglich nach meiner LEHRE VOM GRALSWEG) in seiner ursprünglichen pferdeschonenden und sehr wissenschaftlich-überlegten Form stattfindet. Übergeht man aber diesen wichtigen Umformungsschritt, dann funktionieren die Logiken alter Reitanweisungen nicht mehr und man öffnet weiteren Fehlinterpretationen Tür und Tor.

Die gesamte SKALA DER AUSBILDUNG, deren Basis man in völliger Selbstüberschätzung als „unumstößlich“ und „klassisch“ bezeichnet, ist gespickt von solchen Fehlinterpretationen und den zwangsweise darauf folgenden fehlerhaften Methoden.


Autor: Richard Vizethum | Der letzte Stallmeister | Schule der Hippologie


[1] Ernst Friedrich Seidler | „Die Dressur diffiziler Pferde“ | 2. Nachdruck der Ausgabe Berlin 1846 | Olms-Verlag 1990 | Seite 96

[2] Francois Baucher, mit dem ich mich sehr intensiv beschäftig habe, wird von mir, nach all meinem Wissen über seine Vorgehensweise, als ein Scharlatan eingestuft, wenn auch mit gewissen Talenten. Das was er als neu bezeichnet hat, war meist schon vor seiner Zeit bekannt und jenes, was tatsächlich neu war brauchte keine Pferd (eher Zirkus). Der Hype um Baucher war und ist nur zu verstehen im Kontext einer immer stärker aufkommenden anglomanen Reiterei, die sich mehr und mehr auch in die Militärreiterei (mit d’Aure, einen Konkurrenten und Widersacher von Baucher, in die Cadre Noir) einschlich und in der heutigen Zeit die gesamte Reiterei prägt.

[3] Nach meinem Dafürhalten ist eine Einteilung der Baucherchen Entwicklung in 1. und 2. Manier nicht zulässig, da Baucher über die Auflagen seines Werkes hinweg, sich ständig weiterentwickelte. Die Zäsur, nach dem „Kronleuchter-Unfall“, die als Übergang von einer 1. Manier zu einer 2. Manier von vielen Autoren genannt wird, gab es im Grunde nicht!

[4] Es handelte sich um das 7. Kürassier-Regiment (siehe auch Seunig) in Quedlinburg

[5] Die Begrifflichkeit „unbedingte Beizäumungsmethode“ könnte von Otto von Monteton von Plinzner unbewusst übernommen worden sein, welcher zu dieser Zeit (1899) aktiv war – auch mit Veröffentlichungen.

[6] Otto Digeon von Monteton | „Über stätische Pferde“ |  Verlag von Schickhardt & Ebner (Konrad Wittwer) 1899 | 7. Heft | Teil eines Nachdrucks Olms-Verlag 1992 | Seite 19

[7] Otto Digeon von Monteton | „Über die Reitkunst“ | 1877 | Nachdruck Olms-Verlag 1995 | Kommentar auf Seite 177

[8] Waldemar Seunig | „Von der Koppel bis zur Kapriole“ | 4. Nachdruck der Ausgabe von 1943 | Verlag Olms | Seite 49

[9] von Monteton: Über die Reitkunst (1877)

[10] Waldemar Seunig | „Von der Koppel bis zur Kapriole“ | 4. Nachdruck der Ausgabe von 1943 | Verlag Olms | Seite 49

[11] Friedrich Georg von Sohr | „Instruktion zum Reit-Unterricht für die königlich preußische Kavallerie | 1825/1826

Aufrichtung – Die akademischen Meister

Aufrichtung – Die akademischen Meister

LEHRE VOM GRALSWEG – aus dem Kapitel „Wege und Irrwege der Aufrichtung“ – Teil 1

Betrachtet man die Kupferstiche/Holzschnitte alter Meister (siehe beispielsweise Pluvinel oder Riedinger), so findet man dort die Pferde hoch „aufgerichtet“. Dabei ist häufig erkennbar, dass meist nicht das Genick[1] der höchste Punkt war, sondern oft eine Stelle in Höhe zwischen dem 2. und 3. Halswirbel. Dieser Knick führt physikalisch-mechanisch zu einer Vorhandneigung, welche durch eine übermäßige Beugung der Hinterhand optisch kompensiert wurde, was natürlich eine sehr starke Kräftigung der Hinterhand bei den Pferden voraussetzte.

Diese Optik hatte zwei maßgebliche Gründe in der Vorgehensweise:

Zum einen, die fast grundsätzliche Nutzung der Kandare auch bereits in einem frühen Stadium der Ausbildung, wobei Anfangs die Kandare zusammen mit dem Cavesson[2] eingesetzt wurde. Durch den Kandaren-Einsatz nötige man die Pferde mehr oder weniger stark an oder sogar hinter die Senkrechte zu kommen, was u.a. auch diesen Knick zwischen dem 2 und 3 Halswirbel bewirkte.

Der zweite Grund liegt in der damaligen Form der Bearbeitung der Pferde. Durch Bodenpersonal-Unterstützung, welche mit Peitschen und Rute auf die Hinterhand der Pferde einwirkten, zwang man diese zu einer vermehrten, bis extremen Beugung der Hinterhand. Dies geschah auf kleinem Raum an einer Säule, um eine Säule herum oder zwischen zwei Pilaren. Diese Pferde wurden also von HINTEN nach VORN gearbeitet und nicht so, wie aufrichtungstechnisch korrekt und effizient nach meiner LEHRE VOM GRALSWEG zunächst von VORNE nach HINTEN.

Diese starke Senkung der Hinterhand, bei der die HANKEN[3] entweder extrem durchgebeugt wurden oder auch mitunter – was auf Bildern erkennbar ist – im Hüftgelenkswinkel geöffnet blieben[4]  – die Hauptbeugung erfolgte dann auf dem schwächeren unteren Gelenken (Sprung- und Fesselgelenk), zwang man das Pferd, sich in einer Gegenbewegung vermehrt nach vorne zu strecken und Vorwärts-Aufwärts zu dehnen, um den Balanceverlust der durch die Beugung nach hinten erfolgte, auszugleichen. Diese Vorwärts-Aufwärts-Streckung begünstigte nach und nach die eigentliche und dann formtechnisch nahezu[5] korrekte Aufrichtung. Ein Abknicken im Übergang zwischen Hals- und Brustwirbelsäule entstand dadurch nicht. Hals und Rückenlinie wurden in einem Zug angehoben.

Nachteil solchermaßen gearbeiteter Pferde war das stark reduzierte Vorwärts in den Grundgangarten. Diese in der Hinterhand sehr kräftigen Pferde waren, durch die Art und Reihenfolge der Ausbildung, in der Regel nur noch in der Lage, die Schulformen der jeweiligen Grundgangarten gehen zu können. Dafür aber waren diese Pferde, bedingt durch die, in extreme Beugung erarbeitete Kraft in der Hinterhand, in der Lage große 2-Schlag-Galopp-Sprünge (z.B. Mezair, Carriere …), sowie Schulsprünge auszuführen.

Für die Kavallerie in der Zeiten eines Pluvinels, in der noch Ritter in voller Rüstung und mit Lanze in den Kampf zogen und für den „rechtsprechenden“ Lanzenkampf[6], machte eine solche Ausbildung noch Sinn, da die Pferde dabei eine große Last zu tragen hatten und der 2-Schlag-Galopp in Form der Carriere beim unmittelbaren Angriff zum Einsatz kam, was eine sprunggewaltige Hinterhand nötig machte. Dieser Sinn aber verlor sich in der modernen Kavallerie zu Zeiten Friedrichs des Großen und seines genialen Kavallerie-Generals von Seydlitz-Kurzbach.

Diese starke Hinterhand orientierte Formung der Pferde zog sich in die Reitbahnen der Akademischen Reitkunst zurück. Die Wege der akademische Reiterei und der (neuen, flexibleren und leichteren) Militärreiterei trennten sich.


Autor: Richard Vizethum | Der letzte Stallmeister | Schule der Hippologie


Der Text auch als Podcast …


[1] Das Genick, das auch als obere Halswirbelsäule bezeichnet wird, besteht aus dem Hinterhauptbein, dem ersten Halswirbel (Atlas) und dem zweiten Halswirbel (Axis).

[2] Cavesson (auch Cavecon, Caveson) ist ein leichter Kappzaum.

[3] Die HANKEN nach der LEHRE VOM GRALSWEG sind definiert durch den Hüftgelenkswinkel, welcher aus dem Dreieck: Kreuzbein – Hüftgelenk – Knie besteht. Das Sprunggelenk, was häufig dazugezählt wird, weil dieses eine starke Bandverbindung mit dem Kniegelenk besitzt, ist nach der LEHRE VOM GRALSWEG nicht Bestandteil der Hanken und führt bei Berücksichtigung zu fehlerhaften Methoden und Bewertungen.

[4] Was damit keine Hankenbeugung nach Definition der LEHRE VOM GRALSWEG darstellt 

[5] Ausnahme ist der „falsche Knick“ auf der Höhe zwischen den 2. und 3. Halswirbel.

[6] Der Lanzenkampf wurde als TJOST bezeichnet. Dabei handelte es sich um eine Kampfform zwischen zwei Rittern in voller Rüstung. Das Wort Tjost hat seinen Ursprung im lateinischen „justa“, was so viel wie rechtmäßiger Kampf bedeutet. Im frühen Mittelalter wurden strittige Gerichtsfälle nicht selten in einem Zweikampf entschieden. Der Ritter forderte seinen Gegner über einen Mittelsmann zum tjostieren auf: Er beauftrage entweder einen Turnierherold, oder er schickte seinen Knappen.