Der letzte Stallmeister

Die genialen preußischen Stallmeister

Die preußischen Stallmeister zu Zeiten Friedrichs des Großen[1] und seines genialen Kavallerie-Generals von Seydlitz-Kurzbach ab Mitte des 18. Jahrhunderts, hoben die Pferdeausbildung auf ein bis dahin noch nicht gekanntes Niveau. Diese Stallmeister, welchen zum Teil im Range von Professoren stehend, als Universitätsstallmeister an Universitäten Hippologie lehrten, zeichneten u.a. bei den preußischen Kavallerieregimentern verantwortlich für die Konzepte der Pferdeausbildung und der Ausbildung der Rittmeister[2]. Sie verdienten oft so viel wie ein Regimentskommandeur, was auch ihren hohen Stellenwert innerhalb der preußischen Reiterei deutlich machte.

Es gehörte früher zur Bildung der Großen, von der Reitkunst sehr eingehende Kenntnis zu haben. Alle Universitäten hatten einen Stallmeister, der Professor-Rang hatte, so wie auch alle Ritter-Akademien. Heut lernt ein jeder selbst reiten, aber es ist auch danach.[3]

Geprägt wurden diese Stallmeister bei ihren Ausbildungs-Konzepten von den Entwicklungen des Maschinenzeitalters, welche mit der industriellen Revolution in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts begann. In diesem Zeitalter veränderte eine Serie von technischen Erfindungen die Arbeitswelt grundlegend.

Die damit einhergehende, neue, mehr technisch orientierte Geisteshaltung, hatte auch Auswirkungen auf die Ausbildung der Pferde. Diese wurden nun mehr als „Maschine“ betrachtet und man versuchte, die einzelnen körperlichen Elemente der Pferde nach physikalischen und logischen Grundsätzen, wissenschaftlich analytisch, optimal aufeinander abzustimmen, um so das Leistungsvermögen und die Gesundheit, der für die Kavallerie so wertvollen Pferde[4], deutlich und nachhaltig zu steigern.

Das Ergebnisse waren nahezu perfekt geformte Pferde, welche schier unglaubliche Höchstleistungen erbringen konnten, ohne dabei in entsprechendem Maße Schaden an Leib und Seele zu nehmen. Nie vorher und nie mehr danach und an keinem anderen Ort der Welt, hatte die Pferdeausbildung, insbesondere die der Kampagnen-Pferde der Kavallerie ein höheres Niveau, als unter der Ägide dieser akribisch arbeitenden preußischer Stallmeister.

Jedoch wurde ihnen die Betrachtung der Pferde als Maschine in der Folgezeit, besonders durch die Vertreter der sich, mehr und mehr, wie eine Seuche, nun auch in den Kavallerien ausbreitende, schlampige und stärker an der Eitelkeitsbefriedigung der Reiter, als an der Gesunderhaltung der Pferde orientierten, anglomanen „Natur-Reiterei“ zum Vorwurf gemacht. Diese anglomane Reiterei setzte mehr auf (diffuses) FÜHLEN, den Galopp und das Gredo „Das Gelände wird es schon richten!“ als auf eine sinnvolle, gesunde und reproduzierbare Ausbildung der Pferde. Dieser Vorwurf, denen man die Stallmeistern machte, war und ist völlig haltlos und diente lediglich dazu, die pferdeunfreundlicheren und gesundheitsschädlicheren Konzepte der bequemen, anglomanen, und neuzeitlicher, der emotionalisierten (anglomanen) Reiterei in ein positives Licht zu rücken.

Auch für die Stallmeister und gerade für diese, waren die Pferde Lebewesen, mit all ihrer Individualität und so wurden sie auch behandelt! Aber um sie körperlich dauerhaft zu gesunden, Höchstleistungen erbringenden Tieren umzubauen, war und ist es zwingend erforderlich die Physik des lebenden Systems Pferd (schlicht gesprochen, die „Maschine Pferd“) wissenschaftlich zu analysieren, zu bewerten und zu formen! Wer aber ausschließlich auf FÜHLEN setzt (dazu muss man allerdings wissen, was man fühlen sollte), der wird die Ausbildung der Pferde immer dem Zufall überlassen und dessen Ergebnisse werden immer mittelmäßig bleiben und nicht auf alle Pferde gleichermaßen anwendbar sein. 

Mit der Doppelschlacht von Jena und Auerstedt am 14. Oktober 1806 und der vernichtenden Niederlage der preußischen Armee durch die Franzosen unter Napoleon[5] in deren Folge die Preußen alle ihre gut ausgebildeten Pferde an die Franzosen verloren, begann auch das Zeitalter der preußischen Stallmeister nach und nach ein Ende zu finden. Im Grunde waren sie dem Staatshaushalt (kurzsichtig denkend) zu teuer geworden. Von nun an begann man die Verantwortung für die Ausbildung der Pferde in die Hände der Schwadronchefs und deren Rittmeister zu legen, was einen, zunächst schleichenden, dann immer stärkeren Qualitätsverlust in der Ausbildung zur Folge hatte und die Tür für die Anglomanie in der Kavallerie immer weiter öffnete[6]. Etwa im Jahre 1848[7] schied nach Berechnungen von Otto Digeon von Monteton wohl der letzte Stallmeister Altersbedingt aus dem Dienst.

In den Folgejahren nahm der Pferdeverschleiß durch unzureichende Ausbildung zu. Zweckbedingt wurde der Galopp zur vermehrten Gangart der Kavallerie und übermäßig trainiert, was zu den hohen Pferdeverlusten beitrug. Die Pferde verschlissen an den Beinen, es kam zu Kieferbrüchen und weiteren körperlichen Schäden. Dieser Umstand veranlasste 1875 den Kavalleriegeneral von Schmidt zur Forderung wieder zu den altpreußischen Dressurmethoden zurückzukehren:

… die Pferde vornehmlich im Winter-Halbjahr, und sodann fortgesetzt während der Sommerübungen, nach den Grundsätzen und Regeln der altpreußischen Dressurmethoden[8] in die ihrem Gebäude angemessene, richtige Haltung, Aufrichtung, Beizäumung und Versammlung gesetzt worden sind, dieselben sich nicht schwer auf die Zügel legen und nicht fest in der Hand ihrer Reiter, sondern in allen Theilen weich und nachgiebig sind, und ihre Hinterhand gebogen[9] und untergeschoben worden ist, damit dieselbe im Stande ist, vermöge ihrer Elastizität und Spannkraft das Gewicht und die Stöße elastisch aufzunehmen, und dadurch die Vorderfüße zu schonen und zu erleichtern. [10]

Leider verstarb dieser sehr einflussreiche General im Jahre 1875, so dass es ihm unmöglich wurde dieser Forderung in der Armee Nachdruck zu verleihen. Sehr zum Leidwesen der Pferde, welche immer mehr der „schneidigen“, sportlichen und weniger kavalleristischen, anglomanen Reiterei geopfert wurden. Diese fand in der Wehrmacht (die heute so hochgelobt wird) ihren traurigen militärisch-reiterlichen Höhepunkt und beeinflusste in der Folgezeit die heutige moderne Reiterei über die Skala der Ausbildung, deren Grundlagen (im Wesentlichen HDV 12 von 1912 und 1937) man, in völliger Selbstüberhöhung und völlig zu Unrecht als „unumstößlich“ und „klassisch“ bezeichnet.

Der letzte Stallmeister

Bevor ich von diesen großartigen preußischen Stallmeistern erfuhr, kam ich unabhängig von diesen –  genauso wissenschaftlich akribisch arbeitend – zu den gleichen Erkenntnissen und Vorgehensweisen bei der Ausbildung der Pferde. Ich formte die Pferde so wie diese Stallmeister es taten und dies sogar noch in der gleichen Reihenfolge der Bearbeitung. Dieser parallele und unabhängige Erkenntnisgewinn machte es mir, im Gegensatz zum Gros der „Reitmeister“ in der Folgezeit der Preußen, möglich, zu verstehen, wie die besten Pferdeausbilder in der Geschichte der Reiterei gearbeitet haben und ich konnte schließlich, als ich von ihnen erfuhr und mich noch tiefer auf ihre Arbeit einließ, weiter von ihnen lernen.

In deren Sinne weiterarbeitend darf ich mich wohl zu Recht, aber in aller Demut vor der Größe dieser Kunst und meiner preußischen Vordenker, auf deren Schultern ich stehen darf, als den wohl letzten Stallmeister und einen der wenigen „denkenden Reiter“[11] in der Geschichte der Reiterei bezeichnen. Dieses Privileg ist für mich verbunden mit der Verpflichtung, für die Pferde, jene wundervollen, treuen und tapferen Lebewesen einzutreten und deren Anwalt zu sein – auch gegen jede Befindlichkeit der Menschen!

In meiner LEHRE VOM GRALSWEG (Reitlehre) dokumentiere ich all die über viele Jahre, mit vielen (diffizilen) Pferden der verschiedensten Rassen – vom Zwerg-Pony bis zum Shire-Horse – gewonnene Erfahrung und die daraus wissenschaftlich erarbeiteten, umfangreichen Erkenntnisse. Dies tue ich, verbunden mit der Hoffnung, dass Menschen, die an der Gesundheit und dem Wohlbefinden der Pferde interessiert sind, sich auf den GRALSWEG machen und in meinem Sinne und dem meiner genialen Vordenker – all jenen großartigen preußischen Stallmeistern – weiterarbeiten.

Vielleicht gibt es sie dann irgendwann wieder in größerer Zahl: die STALLMEISTER!


Autor: Richard Vizethum | Der letzte Stallmeister | Schule der Hippologie



[1] Friedrich II. oder Friedrich der Große, volkstümlich der „Alte Fritz“ genannt, war ab 1740 König in, ab 1772 König von Preußen. Er entstammte der Dynastie der Hohenzollern.

[2] Die Rittmeister wiederum waren dafür verantwortlich, die Ausbildungskonzepte der Stallmeister über die Ausbildung der Offiziere und Unteroffiziere in die Truppe zu tragen.

[3] Otto Digeon von Monteton | „Über die Reitkunst“ | 1877 | Nachdruck Olms-Verlag 1995 | Kommentar auf Seite 137

[4] Tierschutz ging in der preußischen Kavallerie vor Menschenschutz!

[5] Napoleon Bonaparte (1769 – 1821), als Kaiser Napoleon I, war ein französischer General. Aus korsischer Familie stammend, stieg Bonaparte während der Französischen Revolution in der Armee auf. Von 1804 bis 1814 und nochmal 1815 Kaiser der Franzosen.

[6] Die Kavallerieschule in Hannover war nie ein Hort guter Pferdeausbildung, sondern von Anbeginn (1866 – als Militärreitinstitut Hannover gegründet und 1920 in die Kavallerieschule Hannover umbenannt) der anglomanen, sportlichen schneidigen Reiterei (Jagdreiten, Geländereiten, Springen, Rennreiten …) zugetan.

[7] In diesem Jahr ging, laut Otto Digeon von Monteton, der wohl letzte Stallmeister in Ruhestand und in der preußischen Kavallerie wurde die Ausbildung direkt von den Rittmeistern (ohne vorherige Anleitung durch die Stallmeister) durchgeführt, was zu einem Qualitätsverlust in der Ausbildung führte.

[8] General von Schmidt spricht sich hier für die altpreußischen Dressurmethoden von vor 1806 und im Grunde noch etwa bis 1848 aus.

[9] Der Begriff „Biegen“ bedeutet: das Biegen in den Gelenken, Genick, Rücken und Hinterhand und geringgradig das seitliche Biegen, welches man neuzeitlich diese Begriff zuschreibt und damit den ursprünglichen Begriffsinhalt konterkariert.

[10] Kaehler | „Die preußische Reiterei von 1806 bis 1876 in ihrer inneren Entwicklung“ | 1879 | Verlag Ernst Siegfried Mittler und Sohn | Nachdruck Europäischer Geschichtsverlag 2015 | Seite 330f

[11] Dieser Ausdruck wurde von Max Ritter von Weyrother geprägt. „Denkende Reiter“ nach seiner Definition gab es in der Geschichte der Reiterei nur sehr wenige (welche uns durch ihre Werke bekannt wurden), gleichwohl sich so mancher gerne als solchen sehen möchte.

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