Gewichtig „helfen“

oder der Mythos: Reiten über Gewichtshilfen

Aus der LEHRE VOM GRALSWEG – Bd. 2 „Reiter und Pferd“ (Autor: Richard Vizethum)

Grundsätzlich sollte man sich von der Vorstellung verabschieden, dass  über das GEWICHT geritten werden würde. Ein solcher Gedanke führt unbewusst, sehr häufig aber auch ganz bewusst, zu mitunter deutlichen Gewichtsverlagerungen durch den Reiter. Die Struktur des Pferdes wird dadurch ungleich belastet. Dies wiederum zwingt das Pferd zu Ausgleichsbewegungen, welche oft nicht zu dem, vom Reiter gewünschten Ergebnis führen.

Meist gleichen die Pferde Gewichtsverlagerungen dadurch aus, dass sie, wenn der Druck auf das belastete Bein zu groß wird, auf das geringer belastete Bein umlasten und damit vom Gewicht weggehen.

Hat man das eigene Gewicht in einer Ecke beispielsweise etwas nach Innen gebracht, um das Pferd zum Abwenden zu bringen, sagen wir mal nach rechts, dann lastet das Pferd nach links um und geht damit über die äußere Schulter. Der Reiter meint, das Pferd drängt willentlich nach Außen und  reagiert meist mit verstärktem Einsatz des inneren Zügels[1]. Damit bringt er, vor allem wenn er mit dem Zügelanzug den Hals des Pferdes über die UNTERSTÜTZUNGSFLÄCHE[2] hinaus, seitlich verbiegt (was stets vermieden werden sollte), vermehrter Gewicht auf die innere Schulter des Pferdes und verstärkt damit das „über die äußere Schulter gehen“ weiter.

Geschieht allerdings die Gewichtsverlagerung abrupt, weil beispielsweise der Reiter ruckartig sein Gewicht vermehrter nach innen geworfen und/oder das Pferd bei höherer Gangart zu tief in die Ecke „gejagt“ hat und dieses dazu genötigt wird, extremer über die innere Schulter zu fallen, was dem Pferd ein Umlasten auf das geringer belastete Bein nicht (mehr) möglich macht, dann „fällt“ das Pferd auf diese Schulter und kippt nach Innen – folgt also dem Gewicht. Gleiches passiert auch, wenn das Pferd mit stärkerer Außenstellung durch die Ecke geht bzw. gehen muss[3].

Auch in solchen Situationen reagiert der Reiter in der Regel reflexartig falsch, indem er versucht durch Anheben der inneren Reiterhand, die Schulter des Pferdes wieder zum Aufrichten zu bringen. Dies behindert nur das Pferd in dessen Abfangbemühungen.

GEWICHTSVERLAGERUNGEN ZWINGEN DAS PFERD IMMER ZU NOTREAKTIONEN

Durch Verlagerungen des Gewichtes zwingt man das Pferd IMMER zu  „Notreaktionen“ und versetzt es in STRESS[4]. Dies wäre nicht nötig, wenn  man sich von der fixen Idee „des Reitern übers Gewicht“ gänzlich verabschieden würde.

Stattdessen sollte man stets darauf bedacht sein, dass beide SITZBEINHÖCKER gleichgewichtig belastet werden und dass die Körperdrehung (Drehachse INNERER SITZBEINHÖCKER), und nicht das Gewicht, die Richtungsänderungen bedingen. Natürlich führt auch diese Körperdrehung zu leichten Veränderungen der Gewichtssituation, aber ohne, dass dadurch eine signifikante Instabilität verursacht wird. Im Gegenteil: Die Schultern des Pferdes bleiben, wie auch die des Reiters, beide oben und das Pferd geht sicher durch die Wendung oder auch durch einen Galopp-Wechsel, dieser sei hier am Rande erwähnt, denn was man da an gewichtsverlagernden Aktivitäten oft zu sehen bekommt ist genauso gruselig, wie völlig falsch!


Autor: Richard Vizethum | Der letzte Stallmeister | Schule der Hippologie


[1] Dies geschieht häufig als unbewusster Reflex, da der eigene Körper versucht, mit dem naheliegendsten Mittel, einen durch diese Situation ausgelösten Balance- und Sicherheitsverlust zu korrigieren.

[2] Hier der Teil, der durch die gedankliche Verlängerung der Schultern des Pferdes nach vorne definiert wird.

[3] Dies kann gewollt sein, wie beispielsweise beim KONTERSCHULTERHEREIN (welche als Übung in der LEHRE VOM GRALSWEG nicht geritten wird, weil völlig unnötig und für das Pferd Stressbelastet) oder aber durch Sitzfehler des Reiters (häufigste Ursache) begünstigt werden. So dreht sich ein menschlicher RECHTSHÄNDER vermehrt nach Links (beim LINKSHÄNDER ist dies umgekehrt) und nimmt das Pferd (wenn dieses auch Rechtshänder ist, dann noch vermehrter) in diese STELLUNG mit. Auch das häufig gelehrte, aber völlig falsche Vorschieben der inneren Schulter des Reiters (häufig im Westernreiten zu sehen) und damit auch der inneren Hüfte, hat eine solche Außenstellung des Pferdes zur Folge.

[4] STRESS bedeutet immer zusätzlicher, unnötiger Energieverbrauch und damit zeitlich gesehen, schnelleren Leistungsverlust. Darüber hinaus, je nach dem wie stark der Reiter durch Fehlverhalten zu dieser Situation beigetragen hat, beeinträchtigt dieser STRESS auch das Vertrauensverhältnis zwischen Pferd und Reiter.


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