Bilder, die eine sichtbar erschöpfte und gebrochene Stute nach einer Dressur-Kür auf einem CHIO in Aachen zeigten, wurden damals in den sozialen Medien heiß diskutiert.
Bilder, die eine sichtbar erschöpfte und gebrochene Stute nach einer Dressur-Kür auf einem CHIO in Aachen zeigten, wurden damals in den sozialen Medien heiß diskutiert.
Warum sah dieses Pferd so kaputt aus, während sich die Reiterin vom Publikum für ihren Sieges-Ritt feiern ließ. Einem Ritt, der vieles offenbarte, der aber weit entfernt von Harmonie und Leichtigkeit war und der auf eklatante Trainingsmängel hinwies.
Und hier sind wir bei dem eigentlichen Punkt dieses Blogbeitrags: Muss ein Pferd nach einem solchen Ritt SO aussehen?
Mancher Kommentar in den sozialen Medien wies darauf hin, dass beide, Reiter und Pferd eine große Leistung vollbracht hätten und dies vor großem Publikum und hohen Außentemperaturen. Dies alles kann man – mit Einschränkungen – durchaus als Begründungen für den Zustand des Pferdes anführen.
Doch die gerittene Kür dauert gerade mal ca. 8 Minuten. Nehmen wir das Abreiten dazu, dann mag das Pferd vielleicht ein bis eineinhalb Stunden unter dem Sattel gewesen sein. Kann man da schon von einer Leistung sprechen oder offenbart es nicht vielleicht eines: eklatante Trainingsmängel?
Schon bei einer oberflächlichen Betrachtung fiel die schwache Hinterhandmuskulatur der zugegebenermaßen zierlichen Stute auf. Ein derartiger Muskelstatus aber hat nichts mit der Zierlichkeit des Pferdes zu tun, sondern mit einem falschen, primär auf VORWÄRTS ausgerichtetem Training. VORWÄRTS, vor allem noch mit aktivem Vorwärts-Abwärts gewürzt, baut dort, wo die Kraft des Pferdes sitzt, keine nennenswerte Muskulatur auf.
VORWÄRTS verbessert die Ausdauerleistung aber nicht die Kraft und Kraft ist es, welche notwendig ist, um Leistungen zu erbringen, welche bei einer solchen Kür im Viereck gefordert sind.
Ausdauer ist zu 90% durch Willensleistung zu erzielen, nur die restlichen 10% entfallen dabei auf den körperlichen Aspekt (Lunge, Herz …). Bricht man den Willen des Pferdes, beispielsweise durch eine zu harte Reitweise, dann lässt sich die Leistung nur durch Verstärkung des Drucks durch den Reiter aufrechterhalten. Das Pferd wird gezwungen über sein Grenzen zu gehen und zerbricht daran. Es erduldet und zieht sich zurück.
Ich erlebe viele Pferde, die abgeschlossen haben. Mancher Pferdebesitzer denkt dann er hätte ja ein so ruhiges, cooles Pferd. Die nackte Wahrheit aber ist: Das Pferd hat aufgegeben! Beim Menschen würde man von einer Depression sprechen, ausgelöst durch Distress (anhaltender Stress und kaum Möglichkeiten für das Lebewesen sich durch Maßnahmen davon zu befreien).
Schon hier kann man erste Zusammenhänge erkennen, die für den Zustand dieser Stute verantwortlich zeigen:
- Keine Kraft in der Hinterhand = falsches Training
- Harte Reitweise
Wenn man sieht, was man heute unter „dressurmässiger“ Arbeit versteht, dann erklärt sich so manches.
In der Regel begrenzt sich diese Arbeit auf die drei Grundgangarten in unterschiedlichem Tempo (Vorwärts – Vorwärts – Vorwärts), Volten- oder Zirkelarbeit (oft in Dehnungshaltung) und dann das „Auswendiglernen“ von Lektionen. Das war es!
In der „Richtlinie für Reiten und Fahren“ der „Deutschen Reiterlichen Vereinigung“ heißt es, dass Pferd sei an oder knapp vor der Senkrechten zu reiten. Dies ist gewissermaßen allgemeingültig formuliert. Nun gut, hier befindet man sich durchaus in einer Linie mit so manchem „Reitmeister“ der Vergangenheit, nur das man deren Erkenntnisse dazu aus dem Zusammenhang gerissen und falsch interpretiert hat.
In seiner Allgemeingültigkeit ist dies aber Unsinn, ignoriert es doch eklatant die auf der Physik basierenden biomechanischen Prozesse im Pferd.
In seiner NATÜRLICHEN HALTUNG sind Nacken-Rückenband und die langen Rückenmuskeln in einer, nennen wir sie mal, NEUTRALEN SPANNUNG, die ausreichend ist, damit das Pferd energiesparend agieren kann. Dabei ist die Nase des Pferdes deutlicher vor der Senkrechten und damit der Genickwinkel offen.
Würde man nun bereits in dieser Haltung das Pferd mit der Nase an oder vor die Senkrechte bringen, dann würde durch Zug auf das Nacken-Rückenband die Kruppe leicht angehoben und die Hinterhand nach hinten ausgestellt werden. Das Pferd kommt weiterhin vermehrt auf die Vorhand. Auch ein „Nachtreiben“ trägt nicht wesentlich zu einer Veränderung dieses Zustandes bei. Allenfalls auf Volten oder Zirkel kann man – zumindest optisch – kaschieren.
Dennoch wird dieses Verfahren gedankenlos, aber eben getreu der Richtlinie, munter praktiziert. So auch von dieser Reiterin.
Dieses Vorgehen ist ein Grund dafür, dass man ein Pferd „strecken“ (man nennt es „dehnen“) lassen muss, um ihm ab und zu mal Freiheit von dieser Zwangshaltung (Nase an die Senkrechte) zu geben.
Ein Grund für den Sperrriemen ist u.a. – das sei hier auch erwähnt – in dem Wunsch begründet, dass Pferd leichter an oder knapp vor die Senkrechte zu bekommen, indem man ihm die Möglichkeit nimmt, sich durch Maulaufreißen dem Nachgeben im Genick zu entziehen. Auch hier kann man attestieren: SCHLECHTE AUSBIDUNG!.
Es ist keine große Leistung, welche unsere Pferde in einem Dressurviereck erbringen – auch diese Stute nicht!
Jedes preußische Kavalleriepferd zur Zeit Friedrichs des Großen würde darüber nur amüsiert lächeln können. Diese Pferde damals waren, im Gegensatz zu den heutigen Pferden, top ausgebildet und erbrachten Leistungen, zu welchen unsere schlecht ausgebildeten Pferde nicht ansatzweise fähig wären – zumindest nicht, ohne massiven Schaden am Körper zu nehmen.
Der desolate Zustand dieses Dressurpferdes lässt sich im Wesentlichen auf eine völlig unzureichende Ausbildung, basierend auf falschen Konzepten, welche gerne, selbstüberhöhen, als „klassisch“ bezeichnet werden, sowie dem steten Kampf mit der Reiterin während der Kür zurückführen.
Autor: Richard Vizethum | Schule der Hippol