Der letzte Stallmeister

Der letzte Stallmeister

Die genialen preußischen Stallmeister

Die preußischen Stallmeister zu Zeiten Friedrichs des Großen[1] und seines genialen Kavallerie-Generals von Seydlitz-Kurzbach ab Mitte des 18. Jahrhunderts, hoben die Pferdeausbildung auf ein bis dahin noch nicht gekanntes Niveau. Diese Stallmeister, welchen zum Teil im Range von Professoren stehend, als Universitätsstallmeister an Universitäten Hippologie lehrten, zeichneten u.a. bei den preußischen Kavallerieregimentern verantwortlich für die Konzepte der Pferdeausbildung und der Ausbildung der Rittmeister[2]. Sie verdienten oft so viel wie ein Regimentskommandeur, was auch ihren hohen Stellenwert innerhalb der preußischen Reiterei deutlich machte.

Es gehörte früher zur Bildung der Großen, von der Reitkunst sehr eingehende Kenntnis zu haben. Alle Universitäten hatten einen Stallmeister, der Professor-Rang hatte, so wie auch alle Ritter-Akademien. Heut lernt ein jeder selbst reiten, aber es ist auch danach.[3]

Geprägt wurden diese Stallmeister bei ihren Ausbildungs-Konzepten von den Entwicklungen des Maschinenzeitalters, welche mit der industriellen Revolution in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts begann. In diesem Zeitalter veränderte eine Serie von technischen Erfindungen die Arbeitswelt grundlegend.

Die damit einhergehende, neue, mehr technisch orientierte Geisteshaltung, hatte auch Auswirkungen auf die Ausbildung der Pferde. Diese wurden nun mehr als „Maschine“ betrachtet und man versuchte, die einzelnen körperlichen Elemente der Pferde nach physikalischen und logischen Grundsätzen, wissenschaftlich analytisch, optimal aufeinander abzustimmen, um so das Leistungsvermögen und die Gesundheit, der für die Kavallerie so wertvollen Pferde[4], deutlich und nachhaltig zu steigern.

Das Ergebnisse waren nahezu perfekt geformte Pferde, welche schier unglaubliche Höchstleistungen erbringen konnten, ohne dabei in entsprechendem Maße Schaden an Leib und Seele zu nehmen. Nie vorher und nie mehr danach und an keinem anderen Ort der Welt, hatte die Pferdeausbildung, insbesondere die der Kampagnen-Pferde der Kavallerie ein höheres Niveau, als unter der Ägide dieser akribisch arbeitenden preußischer Stallmeister.

Jedoch wurde ihnen die Betrachtung der Pferde als Maschine in der Folgezeit, besonders durch die Vertreter der sich, mehr und mehr, wie eine Seuche, nun auch in den Kavallerien ausbreitende, schlampige und stärker an der Eitelkeitsbefriedigung der Reiter, als an der Gesunderhaltung der Pferde orientierten, anglomanen „Natur-Reiterei“ zum Vorwurf gemacht. Diese anglomane Reiterei setzte mehr auf (diffuses) FÜHLEN, den Galopp und das Gredo „Das Gelände wird es schon richten!“ als auf eine sinnvolle, gesunde und reproduzierbare Ausbildung der Pferde. Dieser Vorwurf, denen man die Stallmeistern machte, war und ist völlig haltlos und diente lediglich dazu, die pferdeunfreundlicheren und gesundheitsschädlicheren Konzepte der bequemen, anglomanen, und neuzeitlicher, der emotionalisierten (anglomanen) Reiterei in ein positives Licht zu rücken.

Auch für die Stallmeister und gerade für diese, waren die Pferde Lebewesen, mit all ihrer Individualität und so wurden sie auch behandelt! Aber um sie körperlich dauerhaft zu gesunden, Höchstleistungen erbringenden Tieren umzubauen, war und ist es zwingend erforderlich die Physik des lebenden Systems Pferd (schlicht gesprochen, die „Maschine Pferd“) wissenschaftlich zu analysieren, zu bewerten und zu formen! Wer aber ausschließlich auf FÜHLEN setzt (dazu muss man allerdings wissen, was man fühlen sollte), der wird die Ausbildung der Pferde immer dem Zufall überlassen und dessen Ergebnisse werden immer mittelmäßig bleiben und nicht auf alle Pferde gleichermaßen anwendbar sein. 

Mit der Doppelschlacht von Jena und Auerstedt am 14. Oktober 1806 und der vernichtenden Niederlage der preußischen Armee durch die Franzosen unter Napoleon[5] in deren Folge die Preußen alle ihre gut ausgebildeten Pferde an die Franzosen verloren, begann auch das Zeitalter der preußischen Stallmeister nach und nach ein Ende zu finden. Im Grunde waren sie dem Staatshaushalt (kurzsichtig denkend) zu teuer geworden. Von nun an begann man die Verantwortung für die Ausbildung der Pferde in die Hände der Schwadronchefs und deren Rittmeister zu legen, was einen, zunächst schleichenden, dann immer stärkeren Qualitätsverlust in der Ausbildung zur Folge hatte und die Tür für die Anglomanie in der Kavallerie immer weiter öffnete[6]. Etwa im Jahre 1848[7] schied nach Berechnungen von Otto Digeon von Monteton wohl der letzte Stallmeister Altersbedingt aus dem Dienst.

In den Folgejahren nahm der Pferdeverschleiß durch unzureichende Ausbildung zu. Zweckbedingt wurde der Galopp zur vermehrten Gangart der Kavallerie und übermäßig trainiert, was zu den hohen Pferdeverlusten beitrug. Die Pferde verschlissen an den Beinen, es kam zu Kieferbrüchen und weiteren körperlichen Schäden. Dieser Umstand veranlasste 1875 den Kavalleriegeneral von Schmidt zur Forderung wieder zu den altpreußischen Dressurmethoden zurückzukehren:

… die Pferde vornehmlich im Winter-Halbjahr, und sodann fortgesetzt während der Sommerübungen, nach den Grundsätzen und Regeln der altpreußischen Dressurmethoden[8] in die ihrem Gebäude angemessene, richtige Haltung, Aufrichtung, Beizäumung und Versammlung gesetzt worden sind, dieselben sich nicht schwer auf die Zügel legen und nicht fest in der Hand ihrer Reiter, sondern in allen Theilen weich und nachgiebig sind, und ihre Hinterhand gebogen[9] und untergeschoben worden ist, damit dieselbe im Stande ist, vermöge ihrer Elastizität und Spannkraft das Gewicht und die Stöße elastisch aufzunehmen, und dadurch die Vorderfüße zu schonen und zu erleichtern. [10]

Leider verstarb dieser sehr einflussreiche General im Jahre 1875, so dass es ihm unmöglich wurde dieser Forderung in der Armee Nachdruck zu verleihen. Sehr zum Leidwesen der Pferde, welche immer mehr der „schneidigen“, sportlichen und weniger kavalleristischen, anglomanen Reiterei geopfert wurden. Diese fand in der Wehrmacht (die heute so hochgelobt wird) ihren traurigen militärisch-reiterlichen Höhepunkt und beeinflusste in der Folgezeit die heutige moderne Reiterei über die Skala der Ausbildung, deren Grundlagen (im Wesentlichen HDV 12 von 1912 und 1937) man, in völliger Selbstüberhöhung und völlig zu Unrecht als „unumstößlich“ und „klassisch“ bezeichnet.

Der letzte Stallmeister

Bevor ich von diesen großartigen preußischen Stallmeistern erfuhr, kam ich unabhängig von diesen –  genauso wissenschaftlich akribisch arbeitend – zu den gleichen Erkenntnissen und Vorgehensweisen bei der Ausbildung der Pferde. Ich formte die Pferde so wie diese Stallmeister es taten und dies sogar noch in der gleichen Reihenfolge der Bearbeitung. Dieser parallele und unabhängige Erkenntnisgewinn machte es mir, im Gegensatz zum Gros der „Reitmeister“ in der Folgezeit der Preußen, möglich, zu verstehen, wie die besten Pferdeausbilder in der Geschichte der Reiterei gearbeitet haben und ich konnte schließlich, als ich von ihnen erfuhr und mich noch tiefer auf ihre Arbeit einließ, weiter von ihnen lernen.

In deren Sinne weiterarbeitend darf ich mich wohl zu Recht, aber in aller Demut vor der Größe dieser Kunst und meiner preußischen Vordenker, auf deren Schultern ich stehen darf, als den wohl letzten Stallmeister und einen der wenigen „denkenden Reiter“[11] in der Geschichte der Reiterei bezeichnen. Dieses Privileg ist für mich verbunden mit der Verpflichtung, für die Pferde, jene wundervollen, treuen und tapferen Lebewesen einzutreten und deren Anwalt zu sein – auch gegen jede Befindlichkeit der Menschen!

In meiner LEHRE VOM GRALSWEG (Reitlehre) dokumentiere ich all die über viele Jahre, mit vielen (diffizilen) Pferden der verschiedensten Rassen – vom Zwerg-Pony bis zum Shire-Horse – gewonnene Erfahrung und die daraus wissenschaftlich erarbeiteten, umfangreichen Erkenntnisse. Dies tue ich, verbunden mit der Hoffnung, dass Menschen, die an der Gesundheit und dem Wohlbefinden der Pferde interessiert sind, sich auf den GRALSWEG machen und in meinem Sinne und dem meiner genialen Vordenker – all jenen großartigen preußischen Stallmeistern – weiterarbeiten.

Vielleicht gibt es sie dann irgendwann wieder in größerer Zahl: die STALLMEISTER!


Autor: Richard Vizethum | Der letzte Stallmeister | Schule der Hippologie



[1] Friedrich II. oder Friedrich der Große, volkstümlich der „Alte Fritz“ genannt, war ab 1740 König in, ab 1772 König von Preußen. Er entstammte der Dynastie der Hohenzollern.

[2] Die Rittmeister wiederum waren dafür verantwortlich, die Ausbildungskonzepte der Stallmeister über die Ausbildung der Offiziere und Unteroffiziere in die Truppe zu tragen.

[3] Otto Digeon von Monteton | „Über die Reitkunst“ | 1877 | Nachdruck Olms-Verlag 1995 | Kommentar auf Seite 137

[4] Tierschutz ging in der preußischen Kavallerie vor Menschenschutz!

[5] Napoleon Bonaparte (1769 – 1821), als Kaiser Napoleon I, war ein französischer General. Aus korsischer Familie stammend, stieg Bonaparte während der Französischen Revolution in der Armee auf. Von 1804 bis 1814 und nochmal 1815 Kaiser der Franzosen.

[6] Die Kavallerieschule in Hannover war nie ein Hort guter Pferdeausbildung, sondern von Anbeginn (1866 – als Militärreitinstitut Hannover gegründet und 1920 in die Kavallerieschule Hannover umbenannt) der anglomanen, sportlichen schneidigen Reiterei (Jagdreiten, Geländereiten, Springen, Rennreiten …) zugetan.

[7] In diesem Jahr ging, laut Otto Digeon von Monteton, der wohl letzte Stallmeister in Ruhestand und in der preußischen Kavallerie wurde die Ausbildung direkt von den Rittmeistern (ohne vorherige Anleitung durch die Stallmeister) durchgeführt, was zu einem Qualitätsverlust in der Ausbildung führte.

[8] General von Schmidt spricht sich hier für die altpreußischen Dressurmethoden von vor 1806 und im Grunde noch etwa bis 1848 aus.

[9] Der Begriff „Biegen“ bedeutet: das Biegen in den Gelenken, Genick, Rücken und Hinterhand und geringgradig das seitliche Biegen, welches man neuzeitlich diese Begriff zuschreibt und damit den ursprünglichen Begriffsinhalt konterkariert.

[10] Kaehler | „Die preußische Reiterei von 1806 bis 1876 in ihrer inneren Entwicklung“ | 1879 | Verlag Ernst Siegfried Mittler und Sohn | Nachdruck Europäischer Geschichtsverlag 2015 | Seite 330f

[11] Dieser Ausdruck wurde von Max Ritter von Weyrother geprägt. „Denkende Reiter“ nach seiner Definition gab es in der Geschichte der Reiterei nur sehr wenige (welche uns durch ihre Werke bekannt wurden), gleichwohl sich so mancher gerne als solchen sehen möchte.

Die Arbeit mit diffizilen Pferden

Die Arbeit mit diffizilen Pferden

Unter DIFFIZILEN PFERDEN werden Pferde mit körperlichen Problemen oder Verhaltensauffälligkeiten verstanden.

Die Arbeit mit diesen Pferden stellt diejenigen, die diese Arbeit tun, stets vor besondere Herausforderungen. Gleichzeitig ist es aber für einen Reiter der einzige Weg, zu umfassendem Wissen und einen enorm großen Erfahrungsschatz in allen Bereichen rund ums Pferd zu gelangen, um zu dem werden zu können, was in der Vergangenheit die STALLMEISTER waren, jene, mitunter im Professoren-Rang stehende Elite der Hippologen – primär in Preußen zu Zeiten Friedrichs des Großen und danach noch etwa bis Mitte des 19. Jahrhunderts eben dort.

„Reitmeister“, die sich nur mit guten Produkten aus der Zucht beschäftigen und deren oft in der Öffentlichkeit vorgestellten „Problempferde“ für einen wahren STALLMEISTER keine echte Herausforderung darstellen, werden nie wirklich zum Gipfel dieses Wissens und dieser Erfahrungen aufsteigen.

Die Arbeit mit diffizilen Pferden scheidet auch den Charakter der Menschen. Viele die sich daran versuchen, gelangen schnell an einen Punkt, an dem Gewalt ein probates Mittel der Problemlösung wird und nur sehr, sehr wenige erreichen jenes Stadium wahrhaftiger Meisterschaft, selbst schwierigste Probleme in tiefer Liebe und Zuneigung zu diesen wundervollen Tieren, gerecht und mit schier unendlicher Geduld[1], nachhaltig zu lösen.

Die gekonnte Arbeit mit diffizilen Pferden erscheint einem Außenstehenden und häufig an Spektakuläres und Verkünsteltes gewöhnten, eher als langweilig und wenig interessant. Ob bei körperlichen Problemen oder Verhaltensauffälligkeiten, stets ist diese Arbeit von ständigem Wiederholungen immer gleicher Schulen und Übungen, in immer gleicher Art und Weise geprägt. Es ist eine Millimeterarbeit, bei der ein immer höherer Grad der Präzision angestrebt wird und die dazu beiträgt, dass das Pferd sich körperlich und geistig nachhaltig immer sicherer fühlt, gesünder und leistungsbereiter wird.

Die Arbeit mit diffizilen Pferden ist die wahre REITKUNST und nur wer diese in liebevoll, dem Pferd zugewandten Art beherrscht, kommt nicht nur an die Fähigkeiten eines STALLMEISTERS heran, sondern ist der wahre Künstler in der Reiterei. 

Die letzten Jahrzehnte haben mich, durch die anspruchsvolle Arbeit mit vielen diffizilen Pferden, in aller Demut gesprochen, zu einem jener STALLMEISTER vergangener Zeiten werden lassen, die Max Ritter von Weyrother als DENKENDE REITER bezeichnete, von denen es in der Geschichte der Reiterei nur sehr, sehr wenige gab – gleichwohl sich viele gerne mit diesem Titel schmücken mögen. Trotz all meines großen Wissens und meiner umfangreichen Erfahrungen lerne ich noch jeden Tag hinzu, nicht aus Büchern, sondern von jenen Pferden die nicht perfekt sind, aber es verdient haben, eine Chance zu bekommen.

ICH GEBE NIE EIN PFERD AUF!

Autor: Richard Vizethum | der letzte Stallmeister | Schule der Hippologie


[1] Wenn hier von GEDULD gesprochen wird, dann bedeutet dies nicht „alle Zeit der Welt“, denn solche hat ein STALLMEISTER in der Regel nicht. Von ihm wird erwartet, die Probleme in möglichst kurzer Zeit zu lösen. Ein Pferdebesitzer kann Jahre damit verbringen, herumexperimentierend, ein Problem zu lösen. Ein wahrer STALLMEISTER hat dazu oft nur wenige Korrektureinheiten zur Verfügung, bevor ihm die, ach so – nach eigenem Bekunden – geduldigen Reiter/innen wieder das Mandat entziehen.

Gedanken eines alten Stallmeisters

Je mehr ich über das Reiten nachdenke, je größer mein Wissen und meine praktischen Erfahrungen werden, desto demütiger werde ich und desto banaler erscheint mir manche neuzeitliche Diskussion.

Die Menschen, die sich in der heutigen Zeit mit Pferden und dem Reiten beschäftigen sind so vermessen zu glauben, besseres Wissen und Verständnis davon zu haben, als dies in der Vergangenheit der Fall war.

Oh nein, das haben wir nicht, wir sind weit davon entfernt uns mit Stallmeistern des 18. und frühen 19. Jahrhunderts messen oder uns gar über sie stellen zu können. Stallmeister, die oft Professoren-Rang besaßen und Hippologie (Wissenschaft vom Pferde) lehrten,

Wir leben die Bequemlichkeit und verfallen neuzeitlichen Modeerscheinungen und Spielereien, die uns vermeintlich die Arbeit mit dem Pferd erleichtern.

Ja, wie Recht hatte doch der Rittmeister von W, den Otto Digeon von Monteton zitierte, als er sagte:

Alles was lebt ist faul!

Rittmeister von W.

Doch die Frage sei auch gestellt: Wie geht es dem Pferd dabei?

Autor: Richard Vizethum | der letzte Stallmeister | Schule der Hippologie

Die Stille Post reiterlichen Wissens

Die Stille Post reiterlichen Wissens

Es war einmal ein großer Lehrer, der hatte einen Schüler, dem er sein Wissen vermittelte.

Dieser Schüler nahm das Wissen des Meisters, reduzierte es um das, was er nicht verstand und/oder nicht mochte und ergänzte es um eigene Ideen. Dann wurde der Schüler selbst zum Lehrer, der einem Schüler sein Wissen vermittelte.

Dieser Schüler nahm das Wissen des Meisters, reduzierte es um das, was er nicht verstand und/oder nicht mochte und ergänzte es um eigene Ideen. Dann wurde der Schüler selbst zum Lehrer, der einem Schüler sein Wissen vermittelte.

Dieser Schüler nahm das Wissen des Meisters, reduzierte es um das, was er nicht verstand und/oder nicht mochte und ergänzte es um eigene Ideen. Dann wurde der Schüler selbst zum Lehrer, der einem Schüler sein Wissen vermittelte.

Dieser Schüler nahm das Wissen des Meisters, reduzierte es um das, was er nicht verstand und/oder nicht mochte und ergänzte es um eigene Ideen. Dann wurde der Schüler selbst zum Lehrer, der einem Schüler sein Wissen vermittelte.

Dieser Schüler nahm das Wissen des Meisters, reduzierte es um das, was er nicht verstand und/oder nicht mochte und ergänzte es um eigene Ideen. Dann wurde der Schüler selbst zum Lehrer, der einem Schüler sein Wissen vermittelte.

Und alle glaubten, sie lehrten nach den Prinzipien des großen Lehrers der Vergangenheit, der am Anfang dieser Kette stand.

Denkt mal darüber nach!

P.S. Mit dem geschriebenen Wort ist es noch schlimmer!


Autor: Richard Vizethum | der letzte Stallmeister | Schule der Hippologie


Aufrichtung Ausbildung Bequemlichkeit Cowboy Denkender Reiter Dressur Emotion Erfahrung Freude Friedrich der Große Fühlen Galopp Geduld General von Seydlitz-Kurzbach Gesundheit Gustav Steinbrecht Hippologie Kavallerie Kavalleriepferd Korrektur Können Lehre vom Gralsweg Literatur Meister Natürliches Pferd Otto Digeon von Monteton Pferd Preußen Reiten Reiter Reitkunst Reitpferd Richard Vizethum Rücken Sitz Sitz des Reiters Sperrriemen Stallmeister Tierarzt Trab Umformen Umformung Vorwärts-Abwärts Wissen Wissenschaft

Sitzen lernt man nicht alleine

Von der Haltung des ganzen Körpers zu Pferde, hängt sehr die Sicherheit des Reiters selbst, und die Sicherheit seiner Führung und seiner Hilfen, ab, daher muß auf den Sitz des Reiters bei allen Bewegungen des Pferdes, die größte Sorgfalt gewendet werden.

Schreiner, Franz Xaver Joseph | „Die Reitkunst theoretisch-praktisch dargestellt“ | Verlag Joseph Lindauer – München | 1821 | Seite 204

Kein noch so großes Talent kann den korrekten Sitz intuitiv und ohne fremde Hilfe erlernen!

Ich werde in diesem Beitrag nicht darüber reden, wie ein korrekter und kommunikativer REITERLICHER SITZ im Detail aussieht, und wie er zur Anwendung kommt. Das mache ich gerne und sehr ausführlich in meinen Reitstunden und Praxiskursen, wo ich den Sitz nach meiner LEHRE VOM GRALSWEG vermittle. Einen Sitz, der sowohl in seiner Haltung, seiner Kommunikationsfähigkeit als auch seiner Sicherheit unübertroffen ist. Dessen maßgebliche Grundlagen existierten bereits lang vor mir (Wissen preußischer Stallmeister [1]). Mein Verdienst war es dabei lediglich gewesen, einzelne Unstimmigkeiten zu beseitigen, sowie den Sitz in seiner Kommunikation mit dem Pferd zu standardisieren und zu perfektionieren.

Kein noch so großes Talent kann den korrekten Sitz intuitiv und ohne fremde Hilfe erlernen!

Und damit sind wir beim Thema. An dieser Stelle werden vermutlich die ersten Reiter – von sich eingenommen – behaupten wollen, dass diese Aussage Unfug wäre. Diesen Personen sei gesagt: Ihr kennt nicht einmal Euren eigenen Körper, wie wollt ihr dann selbstständig den korrekten Sitz erarbeiten?

Nichts ist uns näher und vertrauter, als unser eigener Körper – so glauben wir das zumindest. Doch wir werden in unverschämtester Art und Weise von eben diesem Körper schamlos belogen.

Während wir beispielsweise glauben – von unserem Körper so vorgaukelt – vollkommen aufrecht und in einem perfekten 90 Grad-Winkel auf dem Pferd zu sitzen, lehnen wir uns in Wahrheit, und für einen Beobachter gut sichtbar, mehr oder weniger stark zurück. Das Zurücklehnen ist dabei im Übrigen die häufigste Form fehlerhaften Sitzes [2]. Oder wir beugen uns nach vorne.

Ein weiteres Beispiel:

Wie das Pferd, hat auch der Mensch eine NATÜRLICHE SCHIEFE (Händigkeit), die durch einseitig verkürzte Muskulatur entsteht, welche wiederum – wie auch beim Pferd – seine Ursache in der Lage des Embryos im Mutterleib haben dürfte, und welche nach der Geburt, im Lebensalltag, aus Bequemlichkeit [3] weiter kultiviert und dadurch – wie auch beim Pferd – verstärkt wird.

Ein Rechtshänder hat eine links verkürzte Muskulatur, beim Linkshänder ist es umgekehrt. Würde ein Rechtshänder (im Weiteren spreche ich nur vom Rechtshänder – für den Linkshänder gelten die Ausführungen spiegelverkehrt) auf einer ebenen Fläche ohne Orientierungspunkte am Horizont vermeintlich geradeaus laufen, was ihm sein Körper signalisiert, so weicht er tatsächlich in einem Bogen nach Links ab und kommt so, wenn er nur lange genug im gleichen Rhythmus läuft, wieder am Ausgangspunkt seiner Wanderung an.

Das ändert sich auch nicht, wenn der Rechtshänder auf einem Pferd sitzt. Sein Körper ist dabei immer mehr oder weniger stark, je nach Ausgeprägtheit seiner Händigkeit, nach links gedreht. Damit signalisiert er dem Pferd über seinen Sitz: „Geh nach Links!“. Ist der Rechtshänder mit seinem Pferd auf der rechten Hand unterwegs, dann führt dies dazu, dass das Pferd – dem Sitz des Reiters folgend – sich ebenfalls nach links stellt, über die rechte Schulter läuft bzw. kippt und damit mehr als gewünscht, nach innen abweicht.

Dies hat in der Regel zur Folge, dass der Reiter vermehrt das Pferd korrigieren möchte und sich dabei – reflexartig – noch stärker nach links drehen wird und/oder mit dem linken Zügel versuchen möchte, das Pferd dorthin zu dirigieren. Auch wird er das innere (rechte) Bein verstärkt einsetzen um das weitere Ausbrechen des Pferdes nach rechts zu verhindern. Diese „Korrekturen“ werden häufig auch noch von Reitlehrern unterstützt bzw. gefordert.

Was sie erst wissen, werden sie auch bald durch das Gefühl können, aber das Wissen muss dem Können vorausgehen. Naturreiter sind keine Reitlehrer.

Otto Digeon von Monteton | „Die Beschaffung der Remonten und ihrer Ausbildung“ | 1899 | Nachdruck Olms-Verlag 1992 | Seite 48

Und dies ALLES, weil der Reiter seinem Körper geglaubt hat, das er korrekt sitzen würde. Das Pferd wiederum hat alles richtig gemacht, besser gesagt, dessen Körper wurde durch den Reiterkörper dahin gebracht so zu reagieren, wie es eben reagiert hat, und dafür muss es sich nun korrigieren lassen. Armes Pferd!

Damit sind wir wieder beim meiner Ausgangsaussage:

Kein noch so großes Talent kann den korrekten Sitz intuitiv und ohne fremde Hilfe erlernen!

Wer nun glaubt, dass er nur lange genug reiten müsse, damit er lernt korrekt zu sitzen, der irrt gewaltig. Da kann man 20-30 Jahre oder länger im Sattel sitzen, jeden Tag, und ein noch so renommierter Reiter sein, man wird zwar besser sitzen – aber nicht korrekter. Paul Stecken´s Aussage: „Reiten lernt man nur durch reiten!“ trifft schlicht und ergreifend in letzter Konsequenz NICHT zu. Was man durch das reiten (Verb) lernt, ist lediglich immer besser im Sattel des Pferdes zu bleiben und sich besser der Pferdebewegung anzupassen – das war es auch schon. Richtig sitzen und mit dem Pferd über den Körper korrekt kommunizieren, wird man deshalb noch lange nicht.

Dazu bedarf es IMMER Hilfe! Der korrekte DREIPUNKTSITZ und dessen Körperkommunikation mit dem Pferd kann nicht im Selbststudium erlernt werde!

Die Sitzschulung des Reiters muss die wichtigste Aufgabe eines REITLEHRERS [4] sein.

Aussagen, dass der REITLEHRER nicht so viel reden und es vermehrt dem Reiter überlassen soll, das richtige Gefühl zu entwickeln ist bei der Erarbeitung des korrekten Sitzes absolut nicht zielführend, da wie gesagt, der Reiter nicht einmal merkt, dass er falsch sitzt. Dieses Gefühl wird sich erst im Laufe einer längeren Ausbildungszeit immer mehr einstellen. Davor aber stehen DRILL und DISZIPLIN und die ständige Korrektur, auch des allerkleinsten Fehlers, durch den Lehrer. Denn nur so lassen sich die fehlerhaften Haltungs- und Bewegungsmuster verändern und neue Muster nachhaltig konservieren.

Dabei wird nicht der VERSTAND des Reiters angesprochen, dieser ist, wie bei vielen Dingen, nur störend. Die gegebenen Korrekturanweisungen des Lehrers, welche der Schüler dann auch sofort (DISZIPLIN), auf den Punkt und vor allem ohne nachzudenken – auszuführen hat, sprechen den KÖRPER des Reiters an. Das Reaktionssystem dieses Körpers wird schließlich nach vielen Wiederholungen (DRILL), nicht nur die gegebenen und sofort umgesetzten Korrekturen adaptieren, sondern diese auch mit den vorher geschehenen Reiterfehlern bzw. auch Bewegungsfehlern des Pferdes in Verbindung bringen.

Das Ergebnis: Ein absolut korrekter Sitz in jeder Lage und ein fehlerfreies, rechtzeitiges (blitzschnelles) hoch automatisiertes Kommunizieren mit dem Pferd über den Körper des Reiters ohne Störungen des Pferdes! 

Anzumerken sei noch, dass der Reitlehrer in der Lage sein muss, JEDE fehlerhafte Abweichung des Sitzes und JEDEN Kommunikationsfehler SOFORT zu erkennen und SOFORT zu korrigieren – wieder und wieder! Dies erfordert nicht nur WISSEN, sondern auch eine große ERFAHRUNG!

Diskussionen mit dem Schüler finden in Aktion NICHT statt, sie würden nur den Lerneffekt behindern. In den minutenlangen Pausen, in denen sowohl der Pferde- als auch der Reiterkörper das „gelernte“ durchsimulieren (ich nenne das ADAPTIVES KÖRPERLERNEN) kann eine verstandesmäßige Aufarbeitung stattfinden, indem der Schüler Fragen stellen und der Lehrer ausführlichere Erklärungen geben kann.


Autor: Richard Vizethum | der letzte Stallmeister | Schule der Hippologie


[1] Welche vermutlich auch nur weiterentwickelt haben.

[2] Was auch damit zu tun hat, dass dieses Zurücklehnen heute häufig so gelehrt wird. Diese neuzeitliche „Lehrmeinung“ aber beruht auf einer Fehlinterpretation dessen, was man in der Vergangenheit (vor dem 20. Jahrhundert) unter dem Begriff KREUZANSPANNEN verstanden hat.

[3] Wir bevorzugen bei unseren Alltagstätigkeiten die „bessere Seite“ und verstärken damit die Händigkeit.

[5] Otto Digeon von Monteton | „Die Beschaffung der Remonten und ihre Ausbildung“ | 1899 | Nachdruck Olms-Verlag 1992 | Seite 48

[4] Die Hierarchie der Ausbilder: STALLMEISTER –> REITMEISTER (RITTMEISTER) –> REITLEHRER / BEREITER.


Aufrichtung Ausbildung Bequemlichkeit Cowboy Denkender Reiter Dressur Emotion Erfahrung Freude Friedrich der Große Fühlen Galopp Geduld General von Seydlitz-Kurzbach Gesundheit Gustav Steinbrecht Hippologie Kavallerie Kavalleriepferd Korrektur Können Lehre vom Gralsweg Literatur Meister Natürliches Pferd Otto Digeon von Monteton Pferd Preußen Reiten Reiter Reitkunst Reitpferd Richard Vizethum Rücken Sitz Sitz des Reiters Sperrriemen Stallmeister Tierarzt Trab Umformen Umformung Vorwärts-Abwärts Wissen Wissenschaft

Ich hab sie bereits gelesen!

Immer wieder findet man auf Sozialen Medien, beispielsweise Facebook, Posts in denen jemand Reitliteratur anbietet, manchmal mit Bemerkungen wie:

„Ich habe sie bereits gelesen!“

Handelt es sich dabei auch noch um das Wissen „alter Meister“ welches man hier leichtfertig zu verschleudern gedenkt, dann kann man nur attestieren, dass die Person, die dieses tut, nicht wirklich Interesse am Verstehen der REITKUNST hat und das sie  mit der ihr vorliegenden Literatur allenfalls ihren Zitaten-„Schatz“ vergrößern wollte.

Dies kann man gerne mit dem größten Teil neuzeitlicher Reitliteratur so tun, für die mitunter der Weg in den Papiercontainer, die Reiterei und vor allem die Pferde, vor manchem Schaden bewahren würde.

Nicht so aber kann und darf man mit manchem Wissensschatz voriger Jahrhunderte verfahren. Diese Reit- und Stallmeister der damaligen Zeit konnten wahrlich etwas, doch sie wirklich zu verstehen ist äußerst schwierig. Einmal lesen reicht dabei nun wirklich nicht aus. So respektlos und vermessen sollte man keinesfalls sein.

Dieser Wissensfundus erschließt sich nicht durch das einmalige Lesen eines Buches, mag man sich auch für noch so intelligent halten.

Ein wesentlicher und nicht zu umgehender Punkt für das WIRKLICHE Verstehen alter Reitliteratur ist die tägliche und umfangreiche PRAKTISCHE ARBEIT mit den Pferden – mit VIELEN Pferden unterschiedlicher Rassen und unterschiedlicher Konstitution und Disposition.

Diese Arbeit lässt manches Buch großer Reit- und Stallmeister mehrfach wieder zur Hand nehmen und studieren. Mehr und mehr erhält man dadurch die Chance, das geschriebene Wort, in der Praxis gelebt, besser zu verstehen und besser zu werden in der Arbeit mit den Pferden.

Doch auch dies ist noch nicht ausreichend für das tiefe Verständnis. Man muss den jeweiligen Autor und sein Werk strikt im Kontext seiner Zeit beurteilen. Neuzeitliche Denkmuster und Begriffsinterpretationen sind hier eher hinderlich und führen – was man an den aktuellen „Reitlehren“ und –methoden durchaus erkennen kann – zu problematischen Fehlinterpretationen und Logikbrüchen.

Auch ist es zum wahren Verständnis unabdingbar, sich mit dem zeitlichen DAVOR und DANACH des jeweiligen Autors zu beschäftigen. Woraus schöpfte er sein Wissen, wie wurde er von der mittel- und unmittelbaren Nachwelt beurteilt und welche Zweckänderungen erlebte die Reiterei im Zeitablauf als Ganzes?

Genau dieser Zweck macht es auch erforderlich, sich mit Wissen und Wissenschaften zu beschäftigen, welche über das eigentliche Reiten weit hinausgehen, aber in Wirklichkeit großen Einfluss darauf haben. Einfluss natürlich auch auf die jeweils eigene Erfahrungen und das dargestellte Wissen des betrachteten Autors.

Mit jedem Mosaiksteinchen wird man ihn, den gelesenen alten Meister, mehr und mehr verstehen lernen, doch dazu muss man sein Werk mitunter wieder und wieder – in Teilen oder als Ganzes – intensiv studieren, von Mal zu Mal aber geschieht dies mit wachsender Erfahrung und Wissen im eigenen Rucksack.

EINMAL, ZWEIMAL … LESEN REICHT NICHT!

Um nur mit Zitaten protzen zu wollen ist manches Buch zu teuer.  Google würde da auch schon reichen.

Doch wer wirklich das Reiten und die Reitkunst tiefer verstehen möchte, wird keines der Bücher wahrer alter Meister hergeben wollen. Für einen solchen „DENKENDEN REITER“ werden diese Bücher, vielleicht noch mit eigenen Randnotizen ergänzt, ein ewiges Nachschlagewerk und Schmuck für eine kleine private Bibliothek sein.


Autor: Richard Vizethum | der letzte Stallmeister | Schule der Hippologie


Aufrichtung Ausbildung Bequemlichkeit Cowboy Denkender Reiter Dressur Emotion Erfahrung Freude Friedrich der Große Fühlen Galopp Geduld General von Seydlitz-Kurzbach Gesundheit Gustav Steinbrecht Hippologie Kavallerie Kavalleriepferd Korrektur Können Lehre vom Gralsweg Literatur Meister Natürliches Pferd Otto Digeon von Monteton Pferd Preußen Reiten Reiter Reitkunst Reitpferd Richard Vizethum Rücken Sitz Sitz des Reiters Sperrriemen Stallmeister Tierarzt Trab Umformen Umformung Vorwärts-Abwärts Wissen Wissenschaft